Bockmist
und der stillen Fraktion entgegenkommt.
Ich muß zugeben, daß die letzten Monate bei uns allen Veränderungen bewirkt haben. All die Plackereien von Sport, Nahkampftraining, Kommunikationsdrills, Ausbildung an der Waffe und taktische sowie strategische Planung haben wir zunächst ungehalten, argwöhnisch und mit scheelen Augen über uns ergehen lassen. Das ist nun vorbei, darf ich zum Glück sagen, und an seiner Stelle ist echter und formidabler Korpsgeist erblüht. Wir haben Witze, die nach der tausendsten Wiederholung alle verstehen; wir hatten Liebeleien, die freundschaftlich im Sande verlaufen sind; wir kochen reihum und loben uns gegenseitig mit Nicken und »Mmmms« für unsere jeweiligen Spezialitäten. Ich darf wohl sagen, daß meine mit am meisten Anklang findet: Hamburger mit Kartoffelsalat. Das Geheimnis ist das rohe Ei.
Wir haben jetzt Mitte Dezember und stehen vor der Abreise in die Schweiz, wo wir ein bißchen Ski laufen, ein bißchen entspannen und einen holländischen Politiker ein bißchen erschießen wollen.
Wir haben unseren Spaß, leben gut und kommen uns wichtig vor. Was kann man mehr vom Leben wollen?
Unser Anführer – sofern wir das Konzept hierarchischer Strukturen überhaupt zulassen – heißt Francisco; Francis für die einen, Cisco für die anderen, der Wärter für mich in meinen Kassibern an Solomon. Francisco sagt, daß er in Venezuela geboren wurde, als fünftes von acht Kindern, und daß er früher Kinderlähmung hatte. Ich glaube nicht, daß er sich das aus den Fingern saugt. Die Kinderlähmung ist wohl der Grund seines verkümmerten rechten Beins und des Bühnenhinkens, das ganz nach seiner Laune kommt und geht – und danach, wieviel er gerade von dir fordert. Latifa hält ihn für ungemein attraktiv, und da mag was dran sein, wenn man auf meterlange Wimpern und Olivenhaut steht. Er ist klein und muskulös, und wenn ich die Rolle Byrons zu besetzen hätte, käme Francisco bestimmt in die engere Wahl; nicht zuletzt, weil er einfach ein grandioser Schauspieler ist.
Für Latifa ist Francisco der heldenhafte große Bruder – weise, sensibel und versöhnlich. Für Bernhard ist er der grimmige, unerschütterliche Profi. Für Cyrus und Hugo ist er der hitzige Idealist, für den auch die beste der Welten niemals gut genug ist. Für Benjamin ist er der umsichtige Wissenschaftler, denn Benjamin glaubt an Gott und braucht bei jedem Schritt eine Rückversicherung. Und für Ricky, den bärtigen Anarchisten mit den langen Vokalen aus Minnesota, ist Francisco der kumpelhafte, Bier trinkende Rock-’n’-Roll-Abenteurer, der jede Menge Bruce-Springsteen-Texte auswendig kann. Und er wird allen Rollen gerecht.
Wenn es dahinter einen echten Francisco gibt, dann habe ich ihn, glaube ich, nur einmal während eines Fluges aus Marseille nach Paris gesehen. Unsere Devise lautet paarweise reisen, aber getrennt sitzen, und ich hatte ein halbes Dutzend Reihen hinter Francisco einen Platz am Gang, als ein vielleicht fünf Jahre alter Junge, der vorn im Passagierraum saß, plötzlich zu brüllen und zu zetern anfing. Seine Mutter machte seinen Gurt los und lief mit dem kleinen Kerl durch den Gang zur Toilette, als das Flugzeug in ein Luftloch absackte und der Junge gegen Franciscos Schulter taumelte.
Francisco schlug ihn.
Nicht doll. Und nicht mit der Faust. Hätte man mir als Anwalt den Fall übertragen, hätte ich es vielleicht so hinbiegen können, daß er den Jungen nur kräftig geschubst hatte, damit er seinen Halt wiederfand. Aber ich bin kein Anwalt, und Francisco hat ihn unzweideutig geschlagen. Ich glaube, außer mir hat es niemand gesehen, und der Junge war so erschrocken, daß er aufhörte zu weinen; aber diese instinktive Zieh-Leine-Reaktion einem Fünfjährigen gegenüber verriet mir eine ganze Menge über Francisco.
Mehr oder minder – und jeder Mensch hat weiß Gott mal einen schlechten Tag – kommen wir sieben wirklich gut miteinander aus. Ehrlich. Wir pfeifen bei der Arbeit.
Das eine Haar in der Suppe, das unseren Ruin hätte herbeiführen können, wie es den Ruin so gut wie jedes kooperativen Unterfangens der Menschheitsgeschichte herbeigeführt hat, ist einfach nicht aufgetaucht. Denn wir, Das Schwert der Gerechtigkeit, die Architekten einer neuen Weltordnung und Bannerträger der Freiheit, wir teilen uns durchweg und generell den Abwasch.
Ich glaube, das ist noch nie dagewesen.
Das Dorf Murren – keine Autos, keine Abfälle, keine Zahlungsrückstände – liegt im
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