Bockmist
Lang.«
»Der Unterschied ist, daß ich mit deren Tod nichts zu tun hatte«, sagte ich.
»Herrgott noch mal, Sie waren doch Soldat!« Wir standen uns von Angesicht zu Angesicht gegenüber, und er schrie so laut er konnte, ohne daß die Leute aus den Betten fielen. »Sie wurden dazu ausgebildet, Menschen zu töten, damit Ihren Landsleuten kein Haar gekrümmt wird. Stimmt das vielleicht nicht?« Ich wollte antworten, aber er ließ mich gar nicht zu Wort kommen. »Stimmt das, oder stimmt das nicht?« Sein Atem roch seltsam süßlich.
»Das ist eine ganz schlechte Weltanschauung, Rusty. Ehrlich. Ich meine, lesen Sie doch mal ein Buch, um Himmels willen.«
»Demokraten lesen keine Bücher, Lang. Das Volk liest keine Bücher. Das Volk kümmert sich einen feuchten Scheißdreck um Weltanschauung. Das Volk kümmert sich nur um eins und will nur eins von seiner Regierung: ein Einkommen, das immer weiter steigt. Jahraus, jahrein will es ein steigendes Einkommen. Hört es auf zu steigen, besorgt sich das Volk eine neue Regierung. Das will es. Das hat es immer gewollt. Und das, mein Freund, ist Demokratie.«
Ich holte tief Luft. Ich holte sogar mehrmals tief Luft, denn was ich Russell Barnes jetzt antun wollte, konnte zur Folge haben, daß ich längere Zeit gar keine Luft holen würde.
Er ließ mich nicht aus den Augen, wartete auf eine Reaktion, eine Schwäche. Also drehte ich mich um und ging. Die Carls kamen auf mich zu, von jeder Seite einer, aber ich ging weiter, weil ich damit rechnete, daß sie erst eingreifen würden, wenn Barnes ihnen ein Zeichen gab. Nach einigen Schritten meinerseits muß er es gegeben haben.
Der Carl links von mir packte meinen Arm, aber ich bekam ihn ohne weiteres frei, indem ich dem Carl das Handgelenk herumdrehte und so stark nach unten drückte, daß er mit der Bewegung mitgehen mußte. Der andere wollte mich in den Schwitzkasten nehmen, aber ich trat ihm mit voller Wucht auf den Spann und hieb ihm mit der Faust auf den Sack. Er ließ mich los, ich stand zwischen den beiden, sie umkreisten mich, und ich wollte ihnen so unglaublich weh tun, daß sie mich niemals, niemals vergessen würden.
Urplötzlich wichen sie zurück, als wäre nichts gewesen, strichen sich die Mäntel glatt, und ich merkte, daß Barnes etwas gesagt haben mußte, was ich nicht mitbekommen hatte. Er kam zwischen den Carls auf mich zu und blieb erst direkt vor mir stehen.
»Okay, Lang, wir haben’s allmählich gerafft«, sagte er. »Sie haben den Kanal gestrichen voll von uns. Sie können mich nicht ausstehen, und das bricht mir das Herz. Aber das alles spielt überhaupt keine Rolle.«
Er klopfte sich wieder eine Zigarette aus dem Päckchen. Diesmal bot er mir keine an.
»Lang, wenn Sie uns in die Quere kommen wollen«, sagte er und stieß sanft Rauch durch die Nase aus, »sollten Sie sich von vornherein darüber im klaren sein, wen Sie dafür brauchen.«
Er sah mir über die Schulter und nickte jemandem zu.
»Mörder«, sagte er.
Dann lächelte er mir zu.
Hallo, dachte ich. Jetzt wird’s aber interessant.
Wir fuhren ungefähr eine Stunde die M4 entlang und müssen sie nach meiner Schätzung in der Nähe von Reading verlassen haben. Ich würde Ihnen ja nur zu gern die genaue Abfahrt sagen und die Landstraßennummern, aber da ich den größten Teil der Fahrt auf dem Boden des Diplomat verbrachte und man mir das Gesicht in den Teppich drückte, war der Input an Sinnesdaten etwas eingeschränkt. Der Teppich war dunkelblau und roch nach Zitrone, falls Ihnen das weiterhilft.
In der letzten Viertelstunde fuhren wir etwas langsamer, aber das kann gleichermaßen am Verkehr, am Nebel oder an Giraffen auf der Straße gelegen haben.
Und dann erreichten wir eine Kiesauffahrt, und ich sagte mir – jetzt dauert’s nicht mehr lange. Bei den meisten Auffahrten in England kann man den Kies zusammenkratzen und hat dann mit Müh und Not genug für einen Kulturbeutel voll. Jede Sekunde, dachte ich, bin ich draußen und in Rufweite einer öffentlichen Straße.
Aber das war keine normale Auffahrt.
Die hier wurde länger und länger. Und dann wurde sie länger und länger. Und als ich endlich dachte, wir kämen um eine Kurve und würden gleich anhalten, wurde sie länger und länger.
Schließlich blieben wir stehen.
Dann gaben wir wieder Gas, und die Fahrt wurde länger und länger.
Ich war zunehmend überzeugt davon, daß es sich um gar keine Auffahrt handelte; vielleicht war der Lincoln Diplomat mit phantastischem
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