Bockmist
langsam langweilig wurde, griff ich mit einer von meinen Händen nach einer von ihren. Die von ihr war warm und trocken und ganz prima zum Greifen.
»Woran denkst du?«
Ich weiß ehrlich gesagt nicht mehr, wer von uns das zuerst gefragt hat. Wir beide müssen es bis Sonnenaufgang rund fünfzigmal gefragt haben.
»Nichts.« Das sagten wir auch ganz schön oft.
Kurzum: Ronnie war nicht glücklich. Ich kann nicht sagen, daß sie ihre Lebensgeschichte nur so herausgesprudelt hätte. Sie kam vielmehr in einzelnen Brocken, mit langen Pausen dazwischen, wie bei Mitgliedern von Secondhandbuchclubs, aber als es zwischen Nachtigall und Lerche zum Schichtwechsel kam, war ich um einiges schlauer.
Sie war das mittlere von drei Kindern, und die meisten Leute würden an diesem Punkt schon sagen: »Na ja, dann ist das ja auch kein Wunder«, aber ich bin auch eins, und mich hat das nie groß gejuckt. Ihr Vater arbeitete in der City und zerschlug das Angesicht der Elenden, und die beiden Brüder, die Ronnie flankierten, entwickelten sich offenkundig in dieselbe Richtung. Als Ronnie noch ein Teenager war, hatte ihre Mutter die Leidenschaft für die Hochseefischerei entdeckt, diesem Hobby seither sechs Monate jährlich auf allen sieben Weltmeeren gefrönt, und Ronnies Vater legte sich Liebhaberinnen zu. Wo er sie hinlegte, sagte sie nicht.
»Woran denkst du?« Sie diesmal.
»Nichts.« Ich.
»Komm schon.«
»Weiß nicht. Hab’ bloß so … ins Blaue gedacht.«
Ich streichelte ihr die Hand.
»An Sarah?«
Ich wußte, daß sie das früher oder später fragen würde. Obwohl ich mir Mühe gegeben hatte, den Return immer schön flach zu halten und Philip nicht mehr zu erwähnen, damit sie den Ball nicht ins Netz donnerte.
»Unter anderem. Anderen, meine ich.« Ich drückte ihr die Hand. »Machen wir uns doch nichts vor, ich kenne die Frau ja kaum.«
»Sie mag dich.«
Ich mußte lachen.
»Das halte ich für unwahrscheinlich hoch zehn. Bei unserer ersten Begegnung dachte sie, ich wollte ihren Vater umbringen, und bei der letzten hat sie den ganzen Abend lang versucht, mir eine weiße Feder für Feigheit vor dem Feind anzuheften.«
Das mit der Küsserei wollte ich mir lieber für später aufheben.
»Welchem Feind?«, wollte Ronnie wissen.
»Das ist eine lange Geschichte.«
»Du hast eine angenehme Stimme.«
Ich drehte ihr auf dem Kissen den Kopf zu.
»Ronnie, wenn man hierzulande sagt, etwas sei eine lange Geschichte, gibt man damit höflich zu verstehen, daß man nicht darüber reden möchte.«
Ich wachte auf. Was möglicherweise bedeutete, daß ich eingeschlafen war, aber wann, war mir ein Rätsel. Ich hatte nur einen Gedanken: Das Haus steht in Flammen.
Ich sprang aus dem Bett und raste in die Küche, wo Ronnie in einer Pfanne Speck abfackelte. Der Rauch vom Herd tobte ausgelassen zwischen all den Sonnenstrahlen herum, die durchs Fenster fielen, und irgendwo in der Nähe plapperte Radio 4 vor sich hin. Sie hatte sich mein letztes sauberes Hemd unter den Nagel gerissen, was mich etwas verdroß, denn eigentlich hatte ich das für besondere Anlässe zurückgelegt – den 21. Geburtstag meines Enkelsohns zum Beispiel –, aber es stand ihr, also ließ ich fünfe gerade sein.
»Wie magst du deinen Speck?«
»Knusprig«, log ich, nachdem ich ihr über die Schulter gesehen hatte. Etwas anderes blieb mir kaum noch übrig.
»Du kannst Kaffee kochen, wenn du willst«, sagte sie und kümmerte sich wieder um die Pfanne.
»Kaffee. Kommt sofort.« Ich wollte eine Dose Nescafe aufschrauben, aber Ronnie nickte tadelnd zur Anrichte hinüber, wo nachts die Einkaufsfee vorbeigeschaut und alle möglichen Leckerbissen abgeladen hatte.
Ich öffnete den Kühlschrank und sah das Leben eines wildfremden Menschen vor mir. Eier, Käse, Joghurt, Steaks, Milch, Butter, zwei Flaschen Weißwein. Haufenweise Kram, der sich in sechsunddreißig Jahren noch nie in einen meiner Kühlschränke verirrt hatte. Ich ließ den Wasserkessel vollaufen und schaltete ihn ein.
»Erinner mich dran, daß ich dir das Geld zurückgebe«, sagte ich.
»Sei doch nicht kindisch.« Sie versuchte am Pfannenrand einhändig ein Ei aufzuschlagen, und verwandelte es in etwas, was jeder Hund verschmäht hätte. Und ich hatte nicht mal einen Hund.
»Mußt du denn nicht in die Galerie?«, fragte ich und löffelte dabei Melford’s Dark Roasted Breakfast Blend in einen Filter. Ich fand das alles höchst seltsam.
»Ich hab’ angerufen. Hab’ Terry erzählt, mein Wagen
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