Bockmist
Jetzt zu fühlen.
Einmal hab’ ich sie geküßt.
Die Ballastinstruktionen wurden in einer roten Ziegelvilla aus den Dreißigern außerhalb von Henley erteilt. Sie hatte rund zweieinhalb Quadratkilometer Parkettboden, jedes dritte Einzelbrett war durch die Feuchtigkeit verzogen, und nur bei einer Toilette funktionierte die Spülung.
Sie hatten Möbel mitgebracht, ein paar Stühle, Schreibtische und Feldbetten, und sie wahllos über das ganze Haus verteilt. Die meiste Zeit verbrachte ich im Salon, sah mir Dia-Shows an, lauschte Tonbändern, büffelte Verfahren der Kontaktaufnahme und studierte das Leben als Landarbeiter in Minnesota. Es wäre übertrieben, diese Tage mit meiner Schulzeit zu vergleichen, denn als Jugendlicher hatte ich nie so hart arbeiten müssen, aber trotzdem kam mir die Atmosphäre merkwürdig vertraut vor.
Ich fuhr jeden Tag mit der Kawasaki hinaus, die auf ihre Kosten repariert worden war. Ich sollte zwar in der Villa übernachten, aber ich behauptete, vor meiner Abreise müsse ich London noch einmal in vollen Zügen genießen, und das schien ihnen einzuleuchten. Amerikaner zollen dem Patriotismus noch Respekt.
Das Personal wechselte ständig, unterschritt aber nie ein Minimum von sechs Leuten. Es gab ein Mädchen für alles namens Sam, Barnes kam gelegentlich vorbei, und in der Küche hockten ein paar Carls, tranken Kräutertee und machten Klimmzüge an den Türrahmen. Dann gab es die Spezialisten.
Der erste nannte sich Smith, was so unwahrscheinlich war, daß ich es ihm abkaufte. Er war ein fülliges Männchen mit Brille und enger Weste, das ständig von den Sechzigern und Siebzigern schwärmte, der Blütezeit des Terrorismus, wenn man in Smiths Branche arbeitete – damals verfolgte man offensichtlich die Baaders, Meinhofs und verschiedene andere Rotarmisten um die ganze Welt wie ein Teenager, der die Tournee der Jackson Five mitfährt. Poster, Sticker, Fotos mit Autogrammen, der ganze Klimbim.
Die marxistischen Revolutionäre hatten Smith jedweder Illusion beraubt. Die meisten hatten das Handtuch geworfen und sich Anfang der achtziger Hypotheken und Lebensversicherungen besorgt, obwohl man sich bei Italiens Roten Brigaden noch gelegentlich wiedertraf, um die alten Lieder zu singen. Der Sendero Luminoso und dergleichen in Mittel-und Südamerika waren alles andere als sein Bier. Sie waren das, was Jazz für einen Motown-Fan ist, also kaum der Rede wert. Ich ließ ein paar, wie ich glaubte, verräterische Fragen nach der IRA fallen, aber da schmunzelte Smith nur geheimnisvoll und wechselte das Thema.
Dann kam Goldman, groß und schlank, der die Tatsache genoß, daß er seine Arbeit nicht genoß. Goldman war ein Etikettefreak. Für ihn gab es überall Richtig und Falsch, vom Telefonauflegen bis zum Briefmarkenanlecken, und er duldete nicht die geringste Abweichung. Nach einem Tag unter diesem Tutor kam ich mir vor wie Eliza Doolittle.
Goldman erklärte mir, von nun an solle ich auf den Namen Durrell hören. Ich fragte ihn, ob ich mir nicht selber einen Namen aussuchen könne, und er sagte, nein, Durrell stehe schon in allen Akten der Operation Ballast. Ich fragte, ob er schon mal was von Tipp-Ex gehört habe, aber er sagte, das sei ein dämlicher Name, und ich solle mich gefälligst an Durrell gewöhnen.
Travis lehrte Selbstverteidigung, aber als er hörte, wir hätten nur eine Stunde Zeit, seufzte er, sagte nur »Augen und Genitalien« und ging.
Am letzten Tag kamen die Planer; zwei Männer und zwei Frauen, wie Bankangestellte gekleidet und mit riesigen Aktentaschen. Ich versuchte mit den Frauen zu flirten, aber die gingen nicht darauf ein. Bei dem kleinen Mann hätte ich vielleicht mehr Glück gehabt.
Louis, der große Mann, war der netteste der vier und redete am meisten. Er schien sich in seiner Materie auszukennen, obwohl ihm nicht zu entlocken war, woraus genau seine Materie bestand, was nur verdeutlichte, wie gut er sich in ihr auskannte. Er nannte mich Tom.
Das Ganze ließ natürlich nur einen Schluß zu. Ballast war von langer Hand vorbereitet worden, und diese Leute hatten sich nicht erst gestern hingesetzt und im Was ist was im internationalen Terrorismus? geschmökert. Dieser Zug hatte sich schon vor Monaten in Bewegung gesetzt, lange bevor man mich an Bord gehievt hatte.
»Tom, sagt Ihnen der Begriff Kintex etwas?« Louis schlug die Beine übereinander und beugte sich wie ein zweiter David Frost zu mir.
»Nein, Louis«, sagte ich, »ich bin ein unbeschriebenes
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