Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bockmist

Bockmist

Titel: Bockmist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurie Hugh
Vom Netzwerk:
ausgestiegen. Aus der Schule ausgestiegen, aus seinem Elternhaus ausgestiegen, so ziemlich überall ausgestiegen, wo ein junger Mann aussteigen kann – aber dann war er ganz schön fix in einige andere Sachen eingestiegen, alternative Angelegenheiten, bei denen er sich wohl gefühlt hatte. Jedenfalls am Anfang.
    Im Moment fühlte sich Ricky alles andere als wohl; wahrscheinlich, weil er es geschafft hatte, sich in eine dieser Situationen zu bringen, wo man nackt im Keller eines unbekannten Hauses in einem fremden Land hockt und von Fremden angestarrt wird, deren eine Hälfte einen geraume Zeit gequält hat, während die andere Hälfte darauf wartet, daß sie an die Reihe kommt. Ich wußte, daß Bilder aus Tausenden von Filmen über die Leinwand von Rickys Hirnkino flackerten, in denen der Held, in derselben Zwangslage gefesselt, den Kopf mit frechem Spott in den Nacken wirft und seinen Peinigern rät, sich ins Knie zu ficken. Ricky hatte zusammen mit Millionen geistesverwandten Jugendlichen im Dunkel gesessen und sich brav die Lehre reingezogen, daß echte Männer so den Widrigkeiten des Daseins trotzten. Erst wird eingesteckt, später ausgeteilt.
    Aber da er nicht besonders helle war – so intelligent wie ein Schmetterling, der Frost bekommen hat, oder was denen in Minnesota dazu einfällt –, hatte Ricky die entscheidenden Vorteile außer acht gelassen, die seine Zelluloidgötter ihm gegenüber hatten. Im Grunde ist es nur ein Vorteil, aber der ist alles entscheidend. Der Vorteil ist, daß die Filme nicht Realität sind. Ehrlich. Sind sie nicht.
    Im wirklichen Leben, und es tut mir leid, wenn ich da liebevoll gehegte Illusionen zerstören muß, im wirklichen Leben sagen Männer in Rickys Lage niemandem, er solle sich ins Knie ficken. Sie spotten nicht frech, sie spucken niemandem ins Auge, und ganz entschieden, hundertprozentig, definitiv befreien sie sich nicht mit einem Sprung durchs Fenster. Sie stehen vielmehr stocksteif da, zittern, flennen und plärren, sie plärren buchstäblich nach ihrer Mama. Ihnen läuft die Nase, die Beine klappern und sie greinen. So sind die Männer, alle Männer, und so ist das richtige Leben.
    Tut mir leid, aber so ist das nun mal.
     
    Mein Vater hatte im Garten Erdbeerbeete unter einem Netz. Dann und wann sah ein Vogel etwas Dickes, Rotes und Süßes auf dem Boden und dachte sich, er könne ja mal unters Netz krabbeln, eine Frucht klauen und die Biege machen. Und dann und wann konnte der Vogel Punkt eins und zwei der Tagesordnung abhaken – kein Problem, klappte wie am Schnürchen –, nur Punkt drei ging regelmäßig in die Binsen. Die Vögel verhedderten sich in den Netzmaschen, schilpten und schlugen mit den Flügeln, mein Vater sah vom Kartoffelgraben hoch, pfiff mich herbei und sagte, ich solle den Vogel losmachen. Vorsichtig. Schnapp ihn dir, mach das Netz los, laß ihn fliegen.
    Im gesamten Kindheitsuniversum gab es keine schlimmere Aufgabe.
    Angst jagt Angst ein. Kein anderes Gefühl ist so angsteinjagend mit anzusehen. Ein wutentbranntes Tier ist eine Sache und oft genug eine ziemlich erschreckende Sache, aber ein Tier voller Panik – dieses schlotternde, stierende, flatternde Bündel gefiederter Panik – ist etwas, was ich nie wieder sehen wollte.
    Und jetzt stand ich da und sah es wieder.
     
    »Verfluchter kleiner Scheißer«, sagte ein Amerikaner, der in die Küche kam und geradewegs zum Wasserkocher ging – Solomon und ich sahen uns an. Seit Ricky weggebracht worden war, hatten wir zwanzig Minuten am Tisch gesessen, ohne ein Wort zu wechseln. Ich wußte, daß er genauso erschüttert war wie ich, und er wußte, daß ich es war, also saßen wir bloß da, ich starrte die Wand an, und er kratzte mit dem Daumennagel Schrammen in seinen Stuhl.
    »Was wird jetzt aus ihm?«, fragte ich und starrte weiter die Wand an.
    »Braucht Sie nicht zu jucken«, sagte der Ami und löffelte Kaffee in eine Kanne. »Juckt bald keinen mehr.« Ich glaube, er lachte, als er das sagte, bin mir aber nicht sicher.
    Ricky war ein Terrorist. So sahen die Amerikaner ihn und deswegen haßten sie ihn. Sie haßten sowieso alle Terroristen, aber Ricky war auch noch ein amerikanischer Terrorist, und dafür haßten sie ihn am meisten. Das mochten sie einfach nicht. Bis Oklahoma City war das Bombenlegen in der Öffentlichkeit für den Durchschnittsamerikaner eine schnurrige europäische Tradition, so wie Stierkampf oder Moriskentanz. Und wenn es mal außerhalb von Europa auftrat, dann garantiert

Weitere Kostenlose Bücher