Bodenlose Tiefe
nicht vorwerfen, dass Sie keine Hellseherin sind. Schließlich haben Sie mich für die einzige Gefahr in dem ganzen Szenario gehalten. Und ich glaube kaum, dass Sie mich für einen potentiellen Mörder halten.«
»In Athen hat mich jemand vom Hotel zum Hafen verfolgt.
Ich wollte einfach über nichts nachdenken, was mit Phil zu tun hat, bis ich das alles verarbeitet hatte. Ich dachte, ich wäre die Einzige, die in Gefahr ist.«
»Wissen Sie vielleicht –« Er schüttelte den Kopf. »Tut mir leid. Im Moment können Sie es nicht gebrauchen, dass man Sie mit weiteren Fragen löchert. Sie werden schon genug Fragen beantworten müssen, wenn wir auf dem Revier ankommen.«
»Ich hatte den Mann noch nie gesehen.« Benommen stellte sie fest, dass sie ihre Hand nicht unter seiner weggezogen hatte.
Seltsam. Sie mochte es nicht, berührt zu werden, und doch hatte sie Kelbys Berührung hingenommen. »Und ich war mir nicht sicher, ob es irgendwas mit Phil zu tun hatte. Ich war als Frau allein unterwegs und man muss schließlich überall mit Sexualtätern rechnen.«
»Und ich kann mir vorstellen, dass Sie eine besondere Versuchung darstellen.«
Sie erstarrte und versuchte, ihre Hand wegzuziehen.
Er hielt sie fest. »Nicht für mich, verdammt. Nicht jetzt. Das wäre, als würde ich mich an einem jungen Hündchen vergreifen.«
»Ein junges Hündchen ist hilflos. Ich werde niemals hilflos sein.«
»Nie im Leben. Aber da wir nun mal in einem Boot sitzen und ich zurzeit keine Gefahr für Sie darstelle, spricht nichts dagegen, dass Sie mich Ihnen in schwierigen Situationen beistehen lassen.« Seine Lippen spannten sich.
»Und ich würde sagen, dass Sie sich im Augenblick in einer verdammt schwierigen Situation befinden.«
»Ich brauche Sie nicht.« Schwierig war keine Beschreibung für das Grauen, das auf sie einstürzte. Sie fühlte sich, als wäre sie von einem dichten, eisigen Nebel umgeben. Aber Kelby war stark und voller Leben und er hatte ihr versichert, dass er keine Gefahr für sie darstellte.
Sie zog ihre Hand nicht weg.
»Kaffee?«
Als sie aufblickte, sah sie Kelby mit einem Styroporbecher in der Hand vor sich stehen. »Danke.« Sie nahm den Becher entgegen und trank einen Schluck von dem heißen Kaffee.
»Sind Sie schon fertig?«
»Mir kam es ziemlich lang vor. Halley ist gründlich. Ich hatte nichts mit Ihrer Freundin zu tun, außer dass ich Wilson gebeten habe, einen Kontakt zu ihr herzustellen. Ich konnte Halley nicht viel sagen.«
»Vielleicht wollte er Ihnen auch nicht auf die Füße treten. Sie haben viel hier in den Atlantis-Komplex investiert, nicht wahr?«
»Ja, aber das würde Halley nicht davon abhalten, mich ebenso gründlich zu befragen, wie er es bei Ihnen gemacht hat.
Dr. Mulan ist offenbar sehr wichtig.« Er setzte sich neben sie.
»Sie befinden sich jetzt schon seit fast sechs Stunden hier auf dem Revier und dieses Wartezimmer ist nicht besonders gemütlich. Was halten Sie davon, wenn ich Sie in ein Hotel bringe? Ich komme dann hierher zurück und benachrichtige Sie, falls sich irgendetwas –« Sie schüttelte den Kopf. »Hätte mich auch gewundert.« Er trank einen Schluck Kaffee. »Na ja, zumindest schmeckt der Kaffee aus dem Automaten halbwegs anständig. Ich bin schon in Gefängnissen gewesen, wo er so gut wie ungenießbar war.«
»Ach?«
»Sie scheinen sich zu wundern. Tja, Wilson ist es gelungen, die Medien über meine bewegte Vergangenheit im Dunkeln zu lassen. Das ist aber auch leider das Einzige, was sie nicht rausgefunden haben.«
»Warum waren Sie denn im Gefängnis?«
»Nichts allzu Schlimmes. Nachdem ich bei den SEALs ausgeschieden war, hab ich mir ein bisschen die Hörner abgestoßen. Ich war damals ziemlich orientierungslos und habe mich einige Jahre lang in der Welt rumgetrieben, um rauszufinden, was ich eigentlich wollte.«
»Und schließlich haben Sie sich für die Ozeanographie entschieden.«
»Es hat sich so ergeben. Schon als Junge bin ich gern gesegelt, es war eine Art logische Fortsetzung.« Er trank noch einen Schluck Kaffee. »Haben Sie schon immer gewusst, was Sie mal werden wollten?«
»Ja, seit ich zwölf bin. Ich habe das Meer gesehen, ich habe die Delphine gesehen und da wusste ich, was meine Bestimmung war. Die Delphine haben mir meinen inneren Frieden gegeben.«
»Und das war einer Zwölfjährigen wichtig?«
»Es war mir als Zwölfjährige wichtig.« Sie schaute durch die Glaswand, die das Büro vom Wartezimmer trennte, zu Halley hinüber. Er
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