Bodenlose Tiefe
umgehen.« Sie holte tief Luft. »Aber dieser Dreck, mit dem er mich bewirft, könnte auch sein Gutes haben. Wenn ich ihm vorspiele, dass es ihm gelingt, mich zu zermürben, können wir den Spieß vielleicht umdrehen.«
»Und ich soll Ihnen dabei helfen, ihm diese Falle zu stellen?«
»Ja, es wird vielleicht gar nicht so schwer sein. Er will mit mir reden.« Sie lächelte freudlos. »Er will mein bester Freund werden. Bei der Vorstellung läuft ihm jetzt schon das Wasser im Mund zusammen.«
»Verdammt, Sie werden sich doch nicht noch mal seine Gemeinheiten anhören und zulassen, dass er Ihnen wieder wehtut?«
»O doch, denn solange er davon überzeugt ist, dass er mich tatsächlich in den Wahnsinn treiben kann, bin ich diejenige, die ihn in der Hand hat. Ich darf nur nicht zu schnell zusammenbrechen, sonst schöpft er Verdacht. Ich muss warten, bis er glaubt, er hätte gewonnen.«
»Wenn Sie das durchhalten.« Sein Blick wanderte zu der Tür, die in ihr Zimmer führte. »Im Moment scheint es Ihnen nicht allzu gut zu gehen.«
»Ich muss mich dagegen abhärten. Es ist … schwierig.«
»Wirklich? Wer hätte das gedacht?«, sagte er heiser. »Es muss sich etwa so anfühlen, als würde man gevierteilt.
Aber ich bin sicher, Sie werden sich mit der Zeit daran gewöhnen. Sie werden das schon machen.«
»Ja, das werde ich.« Sie sah ihn direkt an. »Aber Sie helfen mir nicht, wenn Sie so wütend und sarkastisch sind.«
»Im Augenblick sind das meine einzigen Waffen«, erwiderte er barsch. »Was zum Teufel erwarten Sie denn? Ich fühle mich verflucht hilflos, und wenn ich mich hilflos fühle, werde ich wütend.« Er wandte sich zum Gehen und schaute sie über die Schulter hinweg an. »Aber tun Sie mir einen Gefallen, verdammt. Gehen Sie heute nicht noch mal ans Telefon, wenn er wieder anruft. Das würde ich nicht verkraften.«
Sie schwieg einen Moment. »Also gut, ich werde nicht rangehen. Wer weiß? Vielleicht brennt er dann umso mehr darauf, morgen früh mit mir zu sprechen.«
Er fluchte leise vor sich hin und verschwand im Haus.
Als er weg war, lag immer noch eine Spannung in der Luft wie der scharfe Geruch nach einem Blitzschlag.
Seine Reaktion hatte sie beinahe ebenso mitgenommen wie Archers Anruf.
Klingelte das Telefon immer noch? Sie atmete tief durch und öffnete die Terrassentür. Das Telefon war stumm, aber über kurz oder lang würde es wieder anfangen zu läuten. Archer betrachtete sie immer noch als Opfer. Er wollte sie bezwingen, alles zerstören, was sie sich aus den Ruinen ihres Lebens aufgebaut hatte. Er würde jede Waffe benutzen, die die Patientenakte und die Bänder ihm geliefert hatten.
Aber sie würde sich nicht unterkriegen lassen. Sie war stark genug, um sich gegen ihn zur Wehr zu setzen und ihn zu besiegen. Sie würde sich seinen Schmutz anhören und ihn in dem Glauben lassen, er könnte sie kleinkriegen.
Und dann, wenn die Zeit reif war, würde sie ihn vernichten.
Lyons pfiff leise durch die Zähne, als Kelby das Wohnzimmer betrat. »Du siehst aus, als wär dir eine Laus über die Leber gelaufen. Könnte das irgendwas mit Melis und dem Vogelkäfig zu tun haben?«
»Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen.« Er hatte sie mit Samthandschuhen angepackt, dachte Kelby frustriert. Er hätte sie anschreien, seinem Ärger Luft machen und sie stehen lassen sollen. »Und es hat mit diesem Dreckskerl von Archer zu tun. Er versucht, sie in den Wahnsinn zu treiben. Entzückend. Wirklich entzückend.«
»Wird es ihm gelingen?«
»Nein, sie ist zäh. Aber er kann ihr das Leben zur Hölle machen und sie wird es zulassen. Sie glaubt, sie könnte ihn in eine Falle locken.«
»Keine schlechte Idee.«
»Eine beschissene Idee. Die ganze Situation ist beschissen.«
»Und was hast du jetzt vor?«
»Ich werde Marinth finden. Mich zur Legende machen.
Und dann werde ich in den Sonnenuntergang segeln.«
Er nahm sein Handy aus der Tasche. »Aber zuerst brauche ich ein Schiff. Ich rufe auf der Trina an und lasse sie nach Las Palmas segeln.«
»Ist das da, wo Marinth liegt?«
»Woher zum Teufel soll ich das wissen? Sie behauptet, es liegt irgendwo dort in der Gegend. Natürlich kann es sein, dass sie lügt. Sie hat nicht das geringste Vertrauen zu mir. Aber wer sollte es ihr verdenken? Ich habe das Gefühl, dass es in ihrem Leben nicht viele Männer gegeben hat, denen sie vertrauen konnte.«
»Brauchst du mich trotzdem?«
»Allerdings. Zuerst rufe ich auf der Trina an und dann rufe ich Wilson an,
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