Bodenlose Tiefe
fürchtete, dass es nur einer Kleinigkeit bedürfte, um Sie aus dem Gleichgewicht zu bringen. Sie haben ein so angenehmes Leben. Es würde mir das Herz brechen, wenn das durcheinander geriete. Eine Irrenanstalt ist auch ein Käfig.«
»Drohen Sie mir etwa damit, dass Sie mich in den Wahnsinn treiben wollen?«
»Aber ja doch. In den Therapiesitzungen bei Dr. Mulan haben Sie sich auf einem schmalen Grat bewegt, das war die Hölle für Sie. Ich könnte mir vorstellen, dass ich Sie dahin zurückschicken kann, wenn ich alte Erinnerungen in Ihnen wachrufe. Regelmäßige Anrufe, die die Vergangenheit wiederaufleben lassen. Aber dieser Art von Folter bedarf es bei Ihnen nicht.« Er lachte in sich hinein. »Ich ziehe es natürlich vor, Sie das ganz real spüren zu lassen, und das wird mir sicherlich viel Vergnügen bereiten.«
»Hören Sie. Ich lasse mich von Ihnen nicht in den Wahnsinn treiben. Und Sie werden es auch nicht schaffen, mich zu töten.«
Sie holte tief Luft. »Und Kafas ist meine Vergangenheit, nicht meine Zukunft. Carolyn hat mich den Unterschied gelehrt.«
»Das werden wir ja sehen«, sagte Archer. »Ich glaube nicht, dass Sie so stark sind, wie Sie es sich einbilden. Es hat Zeiten gegeben, da haben Sie sich nicht getraut einzuschlafen, vor lauter Angst, dass Sie träumen würden. Haben Sie letzte Nacht geschlafen, Melis?«
»Wie ein Stein.«
»Das stimmt nicht. Und es wird noch schlimmer kommen.
Weil ich Sie an sämtliche Einzelheiten erinnern werde. Ich schätze, dass Sie spätestens in einer Woche zusammenbrechen.
Dann werden Sie mich anflehen, die Schrifttafeln zu nehmen und Sie in Frieden zu lassen. Und ich werde zu Ihnen eilen und Sie von den Tafeln befreien. Ich hoffe bloß, dass es dann nicht zu spät für Sie ist.«
»Sie können mich mal.«
»Übrigens, weiß Kelby über Kafas Bescheid?«
»Was wissen Sie denn über Kelby?«
»Dass Sie ihn mit Marinth geködert und in Nassau zwei miteinander verbundene Hotelzimmer bewohnt haben. Ich könnte mir vorstellen, dass Sie ihn nach Strich und Faden verwöhnen. Ich glaube, es würde mir viel Vergnügen bereiten, mit ihm über Kafas zu plaudern.«
»Warum?«
»Nach dem Ruf zu urteilen, der ihm vorauseilt, nehme ich an, dass er ein erfahrener Mann ist. Ich könnte mir vorstellen, dass er ähnliche Vorlieben hat wie ich. Was meinen Sie?«
»Ich meine, dass Sie vollkommen krank im Kopf sind.«
Sie legte auf.
So viel Bosheit. Sie fühlte sich, als hätte sie etwas Schleimiges angefasst. Sie fühlte sich schmutzig … verängstigt. Gott, hatte sie eine Angst! Ihr Magen verkrampfte sich und Ihre Brust war so eingeschnürt, dass Sie kaum atmen konnte.
Es gibt noch andere Kafas auf der Welt.
Nicht für sie. Nie wieder für sie.
Sie musste vergessen, was er gesagt hatte. Er versuchte nur, sie einzuschüchtern. Wenn sie das zuließ, gab sie ihm Macht über ihr Leben.
Verdammt, sie konnte es nicht vergessen. Er würde dafür sorgen, dass sie nichts von dem vergaß, was sie Carolyn anvertraut hatte.
Sie musste damit umgehen. Das hätte Carolyn ihr geraten.
Wieder klingelte ihr Telefon. Sie würde nicht rangehen.
Nicht jetzt. Sie musste erst wieder Kraft sammeln. Als sie aus dem Haus und auf die Veranda rannte, klingelte das Telefon noch immer.
Sie stand vor der Verandatür und atmete die feuchte Luft ein.
Sie musste das Telefon einfach ignorieren. Solange sie auf der Insel war, konnte er nicht an sie herankommen. Hier war sie in Sicherheit.
Aber sie machte sich etwas vor. Sie würde nie in Sicherheit sein. Nicht, solange es Männer wie Archer gab. Es würde immer Gefahren geben und solche schrecklichen Augenblicke wie gerade eben. Das musste sie akzeptieren und damit umgehen, so wie Carolyn es ihr beigebracht hatte. Sie musste die Kraft dazu aus sich selbst schöpfen. Es war die einzige – »Wollen Sie noch mal mit Ihren Delphinen schwimmen?«
Als sie erschrocken herumfuhr, sah sie Kelby auf sich zukommen.
»Nein.«
»Das wundert mich ja direkt. Ich dachte, das wäre ihr Lieblingsfluchtweg.« Sein Blick wanderte zu der Terrassentür hinüber, die in ihr Zimmer führte. »Ihr Telefon klingelt. Wollen Sie nicht rangehen?«
»Nein. Es ist Archer. Ich habe bereits mit ihm gesprochen.«
»Soll ich das Gespräch annehmen?« Seine Lippen spannten sich. »Ich versichere Ihnen, es wäre mir ein Vergnügen.«
»Es hat keinen Zweck.« Sie schloss die Tür, damit das Klingeln nicht mehr so laut zu hören war. »Ich bin diejenige, die er verletzen
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