Bodenlose Tiefe
gebracht. Jetzt müsst ihr euch entscheiden.«
»Es ist lange her. Vielleicht ist ihnen nicht klar, dass das hier ihr Zuhause ist.«
»Ich glaube, sie wissen es. Seit wir in Sichtweite der Insel sind, haben sie aufgehört zu spielen und sind ziemlich ruhig.«
»Haben sie Angst?«
»Sie sind unruhig. Sie wissen nicht, was sie tun sollen.«
Und Melis wusste auch nicht, was sie tun sollte. Sie hatte sich nicht mehr so ratlos gefühlt, seit sie die Delphine vor Jahren in dem Schleppnetz in Lanzarote gesehen hatte. »Es ist in Ordnung«, rief sie ihnen zu. »Tut, was richtig für euch ist.«
»Sie verstehen dich doch nicht, oder?«
»Woher soll ich das wissen? Die Wissenschaftler streiten sich darüber. Manchmal glaube ich, dass sie mich verstehen.
Vielleicht verarbeiten sie Informationen nicht auf dieselbe Weise wie wir, aber sie bekommen den Tonfall mit.«
Pete und Susie schwammen langsam um das Schiff herum.
»Was machen sie?«
»Nachdenken.«
»Sie geben überhaupt keinen Ton mehr von sich. Können sie sich trotzdem verständigen?«
»Sie verständigen sich geräuschlos. Kein Mensch weiß, wie sie das machen. Ich neige dazu, der Theorie zuzustimmen, nach der Telepathie die einzige Erklärung sein kann.« Sie umklammerte die Reling so fest, dass ihre Knöchel sich weiß abzeichneten. »Wir werden sehen.«
Fünf Minuten später schwammen die Delphine immer noch um das Boot herum.
»Vielleicht beruhigen sie sich, wenn du sie fütterst.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich will gar nicht, dass sie sich beruhigen. Jetzt wo wir hier sind, kann ich sie weder zu etwas zwingen noch überreden. Was sein muss, muss sein. Ich habe sie vor sechs Jahren von hier fortgebracht und jetzt habe ich sie wieder zurückgebracht. Sie müssen selbst entscheiden, was sie –
Sie schwimmen weg!«
Beide Delphine verschwanden in den Tiefen des Meeres.
Melis starrte auf das Wasser. Die Tiere tauchten nicht wieder auf.
Minuten vergingen, aber von Pete und Susie war kein Zeichen zu sehen.
»Tja, anscheinend haben sie ihre Entscheidung getroffen.«
Kelby schaute Melis an. »Alles in Ordnung?«
»Nein«, erwiderte sie mit zitternder Stimme. »Ich habe Angst, dass sie nicht zurückkommen.«
»Du hast sie doch mit einem Sender ausgestattet.«
»Aber das ist was anderes. Das wäre nicht freiwillig. Ich würde in ihre Welt eindringen.« Sie setzte sich auf einen Liegestuhl, den Blick auf den dunkler werdenden Horizont gerichtet. »Ich werde also bis zum Sonnenaufgang warten und sehen, ob sie zurückkommen.«
»Du hast doch gesagt, sie sind immer zurückgekommen.«
»Ja, bis Phil sie drangsaliert und direkt in dieses verdammte Schleppnetz getrieben hat. Möglicherweise erinnern sie sich daran und bleiben lieber weg.«
»Aber vielleicht erinnern sie sich auch daran, dass du seit sechs Jahren ihre Freundin bist und sie liebevoll pflegst. Ich würde sagen, die Chancen stehen nicht schlecht für dich.« Er setzte sich neben sie. »Lass uns positiv denken.«
»Du brauchst nicht hier draußen bei mir zu bleiben.«
»Du gehst nicht ins Bett, stimmt’s?«
»Nein. Sie könnten ja während der Nacht zurückkommen.«
»Dann bleibe ich bei dir. Wenn ich nicht gewesen wäre, hättest du die Delphine nicht freigelassen. Also fühle ich mich in gewisser Weise verantwortlich.«
»Ich trage die Verantwortung. Ich habe gewusst, was ich tue.
Ich hab dich gebraucht und ich wusste, dass ich für deine Hilfe einen Preis zahlen muss. Phil hat mir erzählt, dass du genauso von Marinth besessen bist wie er, daher war mir klar, dass wir hier landen würden.« Der Mond war aufgegangen, das dunkle Meer reflektierte sein silbriges Licht. Doch weit und breit war keine Spur einer Rückenflosse zu sehen. »Er hatte Recht.
Warum? Warum willst du Marinth unbedingt finden? Eine tote Stadt? Lass es in seinem Grab ruhen.«
»Das kann ich nicht. Es gibt zu viel zu entdecken. So viel Schönheit. So viel Wissen. Wer weiß, was wir noch alles finden? Himmel, selbst diese Schallkanone könnte ein Segen sein, wenn man sie richtig einsetzt. Sollen wir etwa das Wissen und die technische Entwicklung von Jahrtausenden ignorieren?«
Sein Gesicht glühte vor Aufregung. Melis schüttelte müde den Kopf. »Du redest genauso wie Phil.«
»Ich werde mich nicht dafür entschuldigen, dass ich Marinth wieder zum Leben erwecken will. Seit ich ein kleiner Junge war, träume ich davon, diese versunkene Stadt zu finden.«
»Schon so lange?«
Er nickte. »Mein Onkel hat mir
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