Bodenlose Tiefe
Vorsichtig brachte sie das Beiboot längsseits der Trina. »Werft die Leiter runter, damit ich schnell an Bord kommen kann, solange sie abgelenkt sind. Ich will sie nicht beunruhigen.«
12
»Ich hab dir ein Sandwich mitgebracht.« Kelby setzte sich neben sie aufs Deck. »Billy war schon fast beleidigt, weil du sein Abendessen verschmäht hast.«
»Danke.« Sie biss in das Schinkensandwich, ohne den Blick von Pete und Susie abzuwenden. »Ich will sie nicht allein lassen. Die erste Zeit ist entscheidend. Sie müssen sich daran gewöhnen, dass ich auf dem Schiff bin.«
»Und, gewöhnen sie sich dran?«
»Ich glaube, ja. Sie bleiben in der Nähe und spielen im Kielwasser der Trina, so wie sie es früher bei der Last Home gemacht haben.« Sie schaute Kelby an. »Aber bei Sonnenuntergang sind sie immer weggeschwommen, irgendwohin, wo sie sich zu Hause fühlten, nehme ich an. Jetzt ist es fast Mitternacht und sie sind immer noch da.«
»Ist das ein gutes Zeichen?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht spüren sie, dass sie sich noch nicht in ihren heimatlichen Gewässern befinden. Ich hoffe fast, dass sie bleiben. Ich habe keine Ahnung, was passiert, wenn sie versuchen, ihre Familie zu suchen, und sie nicht finden können.«
»Wenn sie heute Nacht hier bleiben, können wir dann bei Tagesanbruch die Motoren anwerfen?«
»Ja, aber wir müssen sehr langsam fahren. Ich möchte mit ihnen sprechen. Sie müssen meine Stimme hören.«
Sie stopfte sich den letzten Bissen ihres Sandwiches in den Mund. »Sie scheinen sich schon wieder ans offene Meer zu gewöhnen, aber sie müssen es mit mir in Verbindung bringen.
Ich muss Teil des Ganzen sein.«
»Offenbar sind sie dir immer noch sehr zugetan.« Er überlegte.
»Hat Archer noch nicht angerufen?«
»Nein. Vielleicht hält er sich nach dem Riesenpolizeiaufgebot im Hafen, das der Mord an Gary ausgelöst hat, vorerst bedeckt.«
»Ich würde mich nicht darauf verlassen, dass das allzu lange dauert.«
»Ich verlasse mich auf gar nichts, aber ich bin froh über jede Ruhepause, die er mir gönnt. Ich muss mich auf Pete und Susie konzentrieren.«
»Also, dass du diese Aufgabe nicht ernst nehmen würdest, kann wirklich niemand behaupten.« Er zog seine Windjacke aus und wickelte sie zu einem Kissen zusammen. »Wenn du die ganze Nacht hier draußen verbringen willst, sollst du es wenigstens ein bisschen bequem haben.« Er stand auf. »Ich bringe dir ab und zu Kaffee und Sandwiches.«
»Das ist nicht nötig.«
»Ich werd’s trotzdem tun.« Er stützte sich auf die Reling und blickte zu den Delphinen hinüber. »Ihre Augen leuchten ja richtig im Dunkeln. Das ist mir bisher noch nie aufgefallen. Wie Katzenaugen.«
»Sie leuchten noch heller als Katzenaugen. Schließlich müssen sie im tiefen Wasser funktionieren und gleichzeitig die Helligkeit unter der Wasseroberfläche aushalten, die einem Menschen wehtäte.«
»Du hast gesagt, dass das Flipperkonzept indiskutabel ist, dass sie Tiere sind und uns fremd. Aber wenn ich sie anschaue, dann sehe ich zwei possierliche, lustige Säugetiere. Inwiefern sind sie uns dann so fremd?«
»In jeder Hinsicht. Ihr Gehörsinn ist phänomenal. Der Frequenzbereich ihres Gehörs ist zehnmal größer als beim Menschen. Mit ihrem Echolotsystem können sie tatsächlich dreidimensionale Bilder erstellen und sie schneller verarbeiten als ein Computer.«
»Tja, das ist mir wirklich fremd.«
»Sie haben keinerlei Geruchssinn. Und weil sie alles am Stück verschlucken, spielt auch Geschmack keine Rolle.«
»Wie steht es mit dem Tastsinn?«
»Der Tastsinn ist sehr wichtig für sie. Sie verbringen etwa dreißig Prozent ihrer Zeit in Kontakt mit anderen Delphinen. Da sie keine Hände haben, benutzen sie ihren ganzen Körper, um sich gegenseitig zu streicheln, zu erkunden und etwas zu vermitteln.« Sie lächelte. »Du hast sie ja schon beim Spielen beobachtet.«
»Mir ist aufgefallen, dass sie sich aneinander reiben. Was sie in meinen Augen eher menschlich als fremd wirken lässt.«
Sie nickte. »Aber es gibt noch einen Unterschied. Soweit wir wissen, schlafen sie nicht. Und wenn doch, dann nur mit einer Hälfte ihres Gehirns. Ein russischer Wissenschaftler hat ihren REM-Schlaf gemessen und festgestellt, dass sie nicht träumen.«
Sie betrachtete Pete und Susie. »Das ist für mich das Seltsamste an ihnen. Dass sie nicht träumen.« Sie zuckte die Achseln.
»Aber das könnte natürlich auch ein Segen sein.«
»Oder es könnte der Grund dafür sein,
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