Bodenlose Tiefe
durchdringend an. »Du hast Angst, du könntest sie verlieren.«
»Ja, da hast du verdammt Recht, ich habe Angst. Ich habe Angst, dass sie die Orientierung verlieren und sich in irgendeinem Schleppnetz verfangen. Ich fürchte, sie könnten ihre alte Heimat wiedererkennen und zu ihren Familien zurückkehren. Ich fürchte, Archer könnte da draußen mit einer Harpune auf sie warten. Ich will, dass sie in der Nähe des Schiffes bleiben, und ich bin mir nicht sicher, ob ich ihnen das klar machen kann.«
»Aber du glaubst, dass du es schaffst.«
»Wenn ich das nicht glauben würde, hätte ich sie nicht mit hergebracht. Ich verlasse mich in erster Linie auf ihren Instinkt.
Ich habe dir mal gesagt, dass ich manchmal den Eindruck habe, als könnten sie meine Gedanken lesen. Und ich hoffe, dass sie es diesmal auch können.«
Sie stellte ihre Tasse auf den Nachttisch. »Ich möchte nach den Delphinen sehen, bevor ich zur Polizei fahre.« Sie schwang ihre Beine aus dem Bett. »Das wird wieder ein stressiger Tag für die beiden, ich muss mich vergewissern, dass sie das verkraften.« In der Tür zum Bad blieb sie stehen und schaute Kelby an. »Danke, dass du Garys Schwester angerufen hast. Es wäre mir sehr schwer gefallen.«
»Mir ist es auch nicht gerade leicht gefallen. Aber jemand musste es tun und ich wollte es nicht dir überlassen.« Seine Lippen spannten sich. »Ich hoffe, dass ist das letzte Mal, dass einer von uns eine so traurige Pflicht erfüllen muss.« Er stand auf. »Ich will meinen Leuten noch ein paar Anweisungen geben, danach treffen wir uns auf der Gangway.«
»Du kommst mit?«
»Von jetzt an werde ich dich überallhin begleiten. Ich werde dich keine Minute mehr aus den Augen lassen, außer auf dem Polizeirevier. Das mit gestern Abend war mir eine Lehre. Am besten, man macht alles selbst.«
»Aber dann hättest du vielleicht eine Kugel in den Kopf bekommen«, erwiderte sie und erstarrte gleichzeitig bei dem Gedanken.
»Ich habe stärker ausgebildete Guerilla-Instinkte als Gary. Ich wäre mehr auf der Hut gewesen. Wir sehen uns an Deck.«
Sie stand immer noch stocksteif da, als die Tür sich hinter ihm schloss. Ihr Herz raste vor Panik. Sie hatte noch nie daran gedacht, dass Kelby etwas zustoßen konnte.
Er war so selbstsicher, so zäh, so lebendig. Kelby erschossen.
Großer Gott. Kelby tot.
Die Luke des Delphintanks war offen.
Mit angehaltenem Atem wartete Melis ab, bis Pete und Susie es bemerkten.
Eine Minute. Zwei.
Drei.
Plötzlich tauchte Susies Schnauze in der Öffnung auf.
»Braves Mädchen«, rief Melis. »Komm, Susie.«
Laut schnatternd schwamm Susie auf das Beiboot zu.
»Pete.«
Keine Spur von Pete.
Melis hob die Trillerpfeife an die Lippen und blies vorsichtig hinein.
Kein Pete.
Sie pfiff lauter. »Verdammt, Pete, stell dich nicht so stur. Los, komm raus.«
Seine Schnauze erschien in der Öffnung, aber er schwamm nicht heraus.
Susie begann, nervöse Klicklaute auszustoßen.
»Sie regt sich auf«, sagte Melis zu Pete. »Sie braucht dich.«
Pete zögerte, aber als Susies Klicken immer lauter wurde, schwamm er aus dem Tank heraus und auf sie zu.
»Sturer Bock.« Melis ließ den Motor an. »Kommt, wir müssen zum Schiff.«
Würden sie ihr folgen oder sich davonmachen? Zweimal innerhalb der nächsten fünf Minuten schaute sie zurück. Sie folgten ihr. So weit, so gut.
Nein, sie waren verschwunden!
Dann sah sie zwei silbrige Körper elegant aus dem Wasser springen und atmete erleichtert auf. Die Delphine waren nur etwas tiefer getaucht, um für den Sprung Anlauf zu nehmen.
Nachdem sie tagelang in dem engen Tank eingesperrt waren, brauchten sie Bewegung und trainierten ihre Muskulatur.
Die Trina lag direkt vor ihnen und Melis konnte Kelby und Nicholas an Deck stehen sehen.
»Klappt’s?«, rief Kelby ihr zu.
Sie nickte. »Sie folgen mir. Ich habe eine Weile gebraucht, um sie aus dem Tank zu locken. Pete ist im Moment ziemlich misstrauisch. Das ist alles ein bisschen viel für die beiden.«
»Ich kann ihn gut verstehen«, bemerkte Nicholas. »Können wir irgendwas tun?«
»Nein. Ich komme an Bord und füttere sie. Dann gehe ich ein bisschen mit ihnen schwimmen und setze mich anschließend aufs Deck und rede mit ihnen. Wir werden nirgendwohin fahren, bis sie sich daran gewöhnt haben, dass ich auf dem Schiff bin und sie mich dort immer finden können.« Sie warf einen Blick über die Schulter.
Hinter ihr tollten die Delphine immer noch ausgelassen in den Wellen herum.
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