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Bodin Lacht

Bodin Lacht

Titel: Bodin Lacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvie Schenk
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Galopp eines mongolischen Reiters durch die Prärie, und das gefiel ihr gut. Am Schlagzeug saß ein langer Typ mit blassem Gesicht, an der Hammond B3-Orgel ein eher gedrungener Mensch mit fettigem Haar. Dazwischen erhob sich der groß gewachsene und schlanke Wildenhain in seiner ganzen Herrlichkeit. Er schien auch der Dirigent des Ensembles zu sein, moderierte leger zwischendurch, und seine Worte wie das virtuose Spiel (konnte sie das beurteilen?) verrieten zweifellos den Profi. Man musste nicht von Kindesschuhen an mit der Musik groß geworden sein, um zu hören, dass es sich um gute Musik handelte. Tobias Wildenhain strich öfter eine rebellische blonde Strähne mit den Fingern zurück, mit einer ruckartigen Bewegung, ohne viel Erfolg, denn die Haarsträhne fiel wieder in sein hageres Gesicht zurück, er aber störte sich nicht wirklich daran, der seine Partitur sowieso nicht anschaute und offensichtlich meistens improvisierte. Ein spannendes Spielchen, wie er das Instrument langsam an den Mund setzte, um mitten in ein Stück zu platzen und auf einmal die Stimmung hochzuschrauben, als flößte er einem toten Körper wieder Leben ein, ja, er blies pures Leben in die vibrierende Luft, auf die Bühne und in den Raum, und diese Energie belebte all die Anwesenden, Liliane inbegriffen, alle, dachte sie, waren faszinierte Kinder aus Hameln, die Tobias Wildenhain in unbekannte Sphären folgten.
    Die Polizistin ließ ihren Blick über das Publikum schweifen: Eine moderate Schickeria, schätzte sie, die ihre Steuern bezahlte, Lehrer und Professoren, Ärzte, Journalisten, Künstler der mittleren Schicht, wenige Arme und wenige Raucher, keine Übergewichtigen, Bioladen-Einkäufer, mens sana in corpore sano , sie liebten Sonntagsvernissagen, waren meistens rosa-links angehaucht und fast immer politisch korrekt. Die Bestbetuchten besaßen eine einfache Zweitwohnung in der Provence oder in der Toskana, fuhren Rad, sooft sie konnten, sparten bewusst die Ressourcen der Erde, die Vernunft regierte die Ehen, und insgesamt waren es glückliche und ausgeglichene Genussmenschen, die Yoga praktizierten und das gewöhnliche Volk nur mit Abstand liebten. Es waren Menschen, die Evelyn Gorda nicht umgebracht hatten, deren Bekanntschaft eine Zierde für diese Elite gewesen wäre oder war. Liliane mochte dieses Publikum nicht, sie beneidete wohl diese Leute ein bisschen, hätte aber nicht sagen können weshalb. Sie selbst stammte aus einem kulturlosen Umfeld, also kam ihre Abneigung aus einer Art Klassenneid und Skepsis heraus, wie sie Hauptschüler Gymnasiasten gegenüber empfinden? Aber sie war auf das Gymnasium gegangen und hatte ihr Abitur geschafft. Eben. Man könnte auch denken, dass zufriedene Menschen ihr verdächtig waren, weil zu viel Perfektion nicht dem düsteren Bild entsprach, das ihr Beruf ihr täglich aufdrängte? Diese Leute waren für gewöhnliche Menschen, was Bilderbuchtiere für die Wildfauna sind. Sie erzogen ihre Kinder zu Toleranz und Vernunft, die ihr Abi teuer feierten und vor dem Studium eine mutige, selbst oder von Eltern finanzierte Weltreise unternahmen. Mit einem Paukenschlag tat sich in Lilianes Gedächtnis einen Abgrund auf, sie bekam einen roten Kopf und schnappte nach Luft, musste raus.
    Interessieren Sie sich für Musik oder sind Sie beruflich da?, fragte eine schöne Altstimme hinter ihr. Sie drehte sich so brüsk um, dass sie beinahe das Sektglas ihres Gegenübers umgekippt hätte. Guten Abend, sagte Martin Vanderbeke. Beides, sagte Liliane ungeschminkt und fühlte sich ertappt.
    Wildenhain hatte die Pause angekündigt. Alle trafen sich wieder in der Diele und tranken Sekt.
    Gefällt Ihnen die Musik der Gruppe?, fragte Martin.
    Ich glaube ja, bin aber keine Expertin, eigentlich habe ich keine Ahnung. Und Sie, wie finden Sie die Gruppe?
    Sehr gut. Sind die vier Musiker auch verdächtig?
    Aber nein. Kennen Sie Tobias Wildenhain gut?
    Nicht gut. Er war ein Freund und Kollege von Evelyn, aber das wissen Sie bestimmt, und er hat auch zwei oder drei Mal bei meiner Mutter gespielt, Geburtstagsfete oder so, da haben wir uns ein bisschen unterhalten, aber gut kenne ich ihn nicht. Ich selbst bin nur Hobbymusiker und auch nur ein Schüler von Evelyn.
    Martin beobachtete über den Rand des Sektglases die gerunzelte Stirn dieses schlecht gekleideten Mädchens, ja, mehr noch Mädchen als Frau, fand er, mehr

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