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Bodin Lacht

Bodin Lacht

Titel: Bodin Lacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvie Schenk
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persönliche Wohnung zu gelangen, beide Räume nicht abgeschlossen, wie er feststellte.
    Als Kind hatte er einige Male diese Wohnung betreten, deren Leere und Dunkelheit ihn beeindruckte. Der Gegensatz zu Paulas Haus mit seinen farbenreichen Kissen und hellen Tapeten war gewaltig. Er besaß aber ein paar Dinge, die Martin gefielen und die er immer wieder anfassen wollte, einen alten Globus, auf dem die Grenzen der Ostländer nicht mehr stimmten, ein Comicheft aus Bodins Kindheit, das ihn in eine Welt versetzte, in der Helden Golfhosen und Heldinnen lange Röcke und weiße Söckchen trugen. Beeindruckend war die Alabasterskulptur einer nackten Frau, das einzige wertvolle Objekt der Wohnung, das Paula Bodin geschenkt hatte. Martin mochte es – wenn die Erwachsenen nicht hinsahen –, die Hand zwischen die Beine der Statue zu schieben, ihre nicht gespaltene, angeschwollene Muschi zu streicheln, den Rundungen des Pos zu folgen und einen Finger in die Pospalte zu stecken – jedes Mal vermisste er den After.
    Er schaute durch das Fenster – sein Hochhaus fehlte ihm – und sah nichts als ein altes Wohnhaus gegenüber und die Straße mit fließendem Verkehr. Schnell zog er die Gardinen zu, als wäre seine Verhaftung oder Erschießung das Hauptziel der GSG 9 .
    Er besichtigte auch die Praxis, sah sich wieder Bodins Schreibtisch an, die Couch, die Regale, öffnete den Schrank, wo sich außer Büchern leere Ordner und Aktentaschen stapelten. Bodin hatte aufgeräumt. Nur eine Papiermappe in Altrosa, die mit Christine Droemer beschriftet war, enthielt noch vollgekritzelte Blätter und Zettel. Damals hatte Bodin noch keinen Computer, wahrscheinlich als einziger Arzt in der Stadt. Später hatte er sich einen Laptop angeschafft, den Martin zuletzt auf seinem Schreibtisch gesehen hatte. Er suchte ihn vergeblich in den Schubladen und auf den Regalen, Internet wäre jetzt nützlich gewesen. Bodin hatte den Apparat also in die Schweiz mitgenommen. Bodins unlesbare Schrift hinderte ihn, die Indiskretion zu weit zu treiben, und er machte die Mappe schnell wieder zu. Im Wohnzimmer funktionierte zum Glück der alte Fernseher, und er öffnete die Flasche Bier. Er nahm ein Bad, fühlte sich aber nackt so verletzlich, dass er schnell wieder hinaussprang. Der Abend nahm kein Ende, seine Aufregung ebenfalls nicht. Er prüfte Bodins Telefon, das funktionierte, widerstand jedoch der Versuchung, seine Mutter von Bodins Apparat aus anzurufen, lag später im Bett seines Psychotherapeuten (nachdem er die Betttücher gewechselt hatte) und hörte den Regen gegen die Fensterläden prasseln. Erst am frühen Morgen schlief er ein.
    Es folgte ein grauenvoll leerer Tag hinter geschlossenen Rollos. Er schaute mittags die Lokalnachrichten an und würgte, als er sein eigenes Gesicht in den Nachrichten erblickte. War er das wirklich? Ja! Er wurde dringend gebeten, sich als Zeuge in dem Mordfall Evelyn Gorda zu melden. Ihm wurde es eiskalt, dann zu heiß, er lief auf und ab durch die ganze Wohnung, ohne sich beruhigen zu können. Der Schreck, der ihn gepackt hatte, wich einige Stunden später einem Zustand des Stumpfsinns. Alles war so absurd, dass der Wille, aus diesem Albtraum zu entkommen, sich von selbst verflüchtigte. Es gab keinen logischen Weg raus, die simple Mordkonstruktion eines Kriminalamts ließ ihm, dachte er, keinen Ausweg. Er war der ideale Schuldige. Ein frustrierter Herma, der das Schöne und Unerreichbare beschmutzt und tötet. Der Abartige, das Monstrum. Den Nachmittag verbrachte er hauptsächlich im Bett und hörte Radio, ohne dem zu folgen, was er hörte. Alles, was er vernahm, klang bedrohlich, verschlüsselt, sogar Sport und Wirtschaftsnachrichten. Bei Becker und Bäcker hörte er Vanderbeke. Sein kaputtes Leben lag in dieser düsteren Wohnung, schwarz-weiß, ein Seuchenherd, ein Minenfeld. Abends brachten weder das Fernsehen noch der Rundfunk neue Informationen über »seinen Fall«.
    Am Morgen des zweiten Tages versuchte er gerade, sich am Steuer eines Autos, das aus den fünfziger Jahren stammte, durch enge Straßen einen Weg zu bahnen, Gässchen, die Lastwagen versperrten, die mit Riesenschrauben und Metallobjekten beladenen waren, als es in seinem Albtraum klingelte. Ein Blick auf die Uhr zeigte elf Uhr. Er dachte an einen Postboten oder an einen Patienten Bodins, den dieser vielleicht vergessen hatte zu

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