Body Farm
ein Poster von Pu dem Bären.
»Es ist ihr Zimmer«, sagte ich zu Wesley.
»Jetzt ist alles gut.« Er strich mir über das Haar.
»Es ist Emilys Zimmer«, sagte ich.
21
Am nächsten Morgen, es war ein Montag, verließ ich Black Mountain. Wesley wollte mich begleiten, aber ich wollte allein fliegen. Ich hatte noch einiges zu erledigen, und Benton mußte bei Marino im Krankenhaus bleiben, wo man ihm Demerol aus dem Magen gepumpt hatte. Zumindest physisch war er auf dem Weg der Besserung, und wenn er transportfähig war, würde Wesley ihn nach Quantico bringen. Auf Marino wartete jetzt wie auf einen Agenten nach Beendigung einer verdeckten Ermittlung eine »Einsatznachbereitung« - so der Polizeijargon. Er brauchte sie. Und er brauchte Ruhe, Sicherheit und seine Freunde. Im Flugzeug hatte ich eine Sitzreihe für mich allein und machte mir viele Notizen. Der Mordfall Emily Steiner war geklärt, ich hatte wegen des tödlichen Schußwechsels vor der Polizei meine Aussage gemacht, aber es würde wohl noch einige Nachermittlungen in dem Fall geben. Das mußte mich jedoch nicht beunruhigen und tat es auch nicht. Mein Problem war vielmehr, wie ich gefühlsmäßig damit umgehen sollte. Es verstörte mich nämlich, daß ich so gar kein Bedauern empfand.
Ich wußte nur eines: Ich war so müde, daß schon die leichteste Tätigkeit eine große Anstrengung war, gerade so, als hätte man mir Blei in die Adern gepumpt. Selbst den Kugelschreiber über das Papier zu führen war eine Strapaze, auch mein Verstand arbeitete nur langsam. Immer wieder ertappte ich mich dabei, daß ich ins Leere starrte, ohne zu blinzeln und ohne zu wissen, wie lange ich schon so dagesessen hatte und wo ich mit meinen Gedanken gewesen war. Als erstes mußte ich mein Protokoll aufsetzen. Der eine Teil war für die FBI-Ermittlung, der andere für die Polizeiermittlungen in meinem Fall. Die Dinge paßten gut zusammen, wenn auch ein paar Fragen für immer unbeantwortet bleiben würden, weil es niemanden mehr gab, der noch etwas dazu sagen konnte. So würden wir zum Beispiel nie genau wissen, was in der Nacht von Emilys Tod geschehen war. Aber ich hatte ein Theorie.
Sie war an jenem Abend nach Hause geeilt, bevor das Treffen in der Kirche zu Ende war, und hatte dann mit ihrer Mutter Streit bekommen. Das könnte während des Abendessens gewesen sein. Meiner Vermutung nach hatte Mrs. Steiner Emily, wie schon des öfteren, damit bestraft, daß sie ihr das Essen heftig versalzte. Das Essen zu versalzen ist eine Form von Kindesmißhandlung, die entsetzlicherweise gar nicht so selten vorkommt.
Emily konnte aber auch gezwungen worden sein, Salzwasser zu trinken, woraufhin sie sich erbrach, was die Mutter nur noch wütender machte. Vermutlich erlitt das Kind eine Hypernatriämie und fiel schließlich ins Koma. Kurz vor oder kurz nach ihrem Tod trug Mrs. Steiner Emily dann in den Keller. Die widersprüchlichen Befunde bei Emilys Obduktion würden durch diesen Ablauf des Geschehens jedenfalls erklärt, sowohl ihr erhöhter Natriumgehalt als auch die fehlenden vitalen Reaktionen auf ihre Verletzungen. Die Frage, warum die Mutter den Mord an Eddie Heath nachvollzogen hatte, konnte ich mir nur damit erklären, daß eine Frau mit einem Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom an einem derart bekannt gewordenen Fall allergrößtes Interesse hatte. Denesa Steiners Reaktion war völlig anders als die eines normalen Menschen, der wahrscheinlich Entsetzen und Abscheu empfunden hätte. Sie stellte sich vermutlich vor allem die Aufmerksamkeit vor, die einer Mutter entgegengebracht wird, die ihr Kind auf so gräßliche Weise verloren hat.
Wahrscheinlich hatte diese Vorstellung ihre Phantasie angeregt, so daß sie den Plan entwickelte. Sie hatte ihre Tochter an jenem Sonntagabend bewußt vergiftet, hatte sie umgebracht und damit ihren Plan in die Tat umgesetzt. Vielleicht war ihr die Idee aber auch erst gekommen, nachdem sie Emily aus Versehen und im Zorn vergiftet hatte. Die Antwort würde ich nie erfahren, aber das machte jetzt auch nichts mehr aus. Der Fall würde schließlich nie vor Gericht kommen.
Im Keller hatte Mrs. Steiner die Leiche ihrer Tochter in die Badewanne gelegt und ihr dort in den Hinterkopf geschossen, damit das Blut abfließen konnte. Dann täuschte sie den sexuellen Mißbrauch vor. Sie zog die Tote aus, was auch das Vorhandensein der Münze erklärte, denn Emily hatte an dem Abend die Gruppenstunde verlassen, bevor der Klingelbeutel von dem Jungen, den sie
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