Body Farm
Jenrette kam stirnrunzelnd zum Lichtkasten. »Sieht aus, als wäre die Wirbelsäule an dieser Stelle da ausgerenkt.« Er berührte die Aufnahme mit dem Fingerknöchel. »Das ist seltsam. Seitlich verschoben? Durch ein Auto, das sie angefahren hat, kann das nicht passiert sein.«
»Sie ist von keinem Auto angefahren worden«, sagte ich. »Der Hals wurde neunzig Grad nach rechts verdreht.«
Als ich abends um kurz vor sieben ins Travel-Eze zurückkam, verzehrte Marino in seinem Zimmer gerade einen Cheeseburger. Er lag auf dem einen Bett, auf dem anderen hatte er Pistole, Brieftasche und Wagenschlüssel ausgebreitet. Schuhe und Socken lagen auf dem Boden verstreut, als sei er einfach aus ihnen ausgestiegen. Ganz offensichtlich war er noch nicht lange da. Er folgte mir mit den Augen, als ich zum Fernseher ging und ihn ausschaltete.
»Kommen Sie«, sagte ich. »Wir müssen los.«
Lucias Ray hatte »hoch und heilig« geschworen, daß Denesa Steiner das Päckchen in Emilys Sarg gelegt habe. Er hatte angenommen, daß das Päckchen mit dem Geschenkpapier ein Lieblingsspielzeug oder eine Puppe enthielt.
»Wann hat sie es hineingelegt?« fragte Marino, als wir über den Motel-Parkplatz eilten.
»Direkt vor der Beerdigung«, antwortete ich. »Haben Sie Ihre Wagenschlüssel?«
»Ja.«
»Dann fahren Sie auch.«
Ich hatte scheußliches Kopfweh von den Formalindämpfen und weil ich zu wenig gegessen und geschlafen hatte. »Haben Sie von Benton gehört?« fragte ich so beiläufig wie möglich.
»An der Rezeption muß doch ein ganzer Haufen Notizen für Sie gelegen haben.«
»Ich bin direkt in Ihr Zimmer gekommen. Woher wissen Sie denn, daß ich so viele Notizen bekommen habe?«
»Der Typ unten wollte sie mir geben. In seinen Augen bin von uns beiden ich der Doktor.«
»Das liegt daran, daß Sie wie ein Mann aussehen.« Ich rieb mir die Schläfen.
»Welche Anerkennung von einer weißen Frau!«
»Marino, reden Sie nicht wie ein Rassist, denn ich glaube wirklich nicht, daß Sie einer sind.«
»Wie gefällt Ihnen mein fahrbarer Untersatz?« Sein mitternachtsblauer Chevrolet Caprice war voll ausgestattet mit Blau- und Rotlicht, Funkgerät, Telefon, Scanner. Dazu kamen noch eine fest montierte Videokamera und ein Zwölf Millimeter Winchester Marine-Gewehr, rostfreier Stahl, halbautomatisch, sieben Schuß. Das gleiche Modell wurde vom FBI benutzt.
»Mein Gott«, sagte ich ungläubig, als ich einstieg. »Seit wann braucht man denn in Black Mountain, North Carolina, Waffen für den Straßenkampf?«
»Seit neuestem.« Er warf den Motor an.
»Haben Sie das alles angefordert?«
»Nee.«
»Können Sie mir bitte erklären, wieso eine Zehn-Mann Polizeitruppe besser ausgerüstet sein muß als die Drogenfahnder?«
»Vielleicht, weil die Leute hier wirklich kapiert haben, wie wichtig eine ordentliche Polizei für die Gemeinde ist. Hier gibt es zur Zeit ein großes Problem, da kommt es eben vor, daß Kaufleute aus der Gegend und besorgte Bürger jede Menge springen lassen, um zu helfen. Autos zum Beispiel, Telefone, das Gewehr. Einer der Cops sagte mir, gerade heute morgen habe eine alte Dame angerufen und wissen wollen, ob die FBIAgenten, die als Helfer in die Stadt gekommen seien, wohl am Sonntag bei ihr zu Abend essen würden.«
»Das ist ja sehr nett«, sagte ich verblüfft.
»Außerdem denkt der Gemeinderat daran, die Polizei erheblich zu verstärken, und ich nehme an, das erklärt einiges.«
»Und was wäre das?«
»Black Mountain braucht einen neuen Polizeichef.«
»Was ist mit dem alten passiert?«
»Mote sollte es werden.«
»Ich weiß noch immer nicht, worauf Sie hinauswollen.«
»He, Doc, vielleicht lande ich geradewegs in dieser Stadt. Sie suchen einen erfahrenen Polizeichef und behandeln mich wie 007 persönlich. Ich kann doch wohl noch zwei und zwei zusammenzählen.«
»Um Gottes willen, was ist mit Ihnen los, Marino?« fragte ich ganz ruhig.
Er zündete sich eine Zigarette an. »Was los ist? Erst sehe ich für Sie nicht aus wie ein Doktor. Und jetzt auch nicht wie ein Polizeichef? In Ihren Augen bin ich wohl nichts anderes als ein spaghettifressender Dorftrottel aus Jersey, der mit Frauen in engen Pullis und mit hochtoupierten Frisuren ausgeht.« Wütend stieß er den Rauch aus. »He, nur weil ich gern Bowling spiele, bin ich schließlich noch kein tätowierter Redneck-Prolo. Und nur weil ich keine dieser Eliteschulen besucht habe wie Sie, müssen Sie mich noch lange nicht für 'nen Vollidioten
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