Body Farm
dort?«
»Ich möchte mich vergewissern, daß sie sich nicht auf die Zunge gebissen hat.«
Wenige Minuten später wußte ich, daß das doch der Fall gewesen war.
»Dort am Rand sind die Abdrücke.« Ich zeigte sie ihm. »Könnten Sie sie wohl ausmessen?«
»Drei bis sechs Millimeter.«
»Und die Stellen, an denen die Blutungen aufgetreten sind, haben eine Tiefe von etwa sechs Millimetern. Es sieht aus, als habe sie sich mehrmals gebissen. Was halten Sie davon?«
»Ja, das könnte sein.«
»Also wissen wir, daß sie in der letzten Phase ihres Lebens einen Anfall hatte.«
»Er könnte durch die Kopfverletzung ausgelöst worden sein«, sagte er und griff nach der Kamera.
»Möglich, doch warum zeigt das Gehirn dann nicht, daß sie noch lange genug für einen Anfall weitergelebt hatte?«
»Ich glaube, wir stehen wieder vor derselben offenen Frage.«
»Ja«, sagte ich. »Es ist noch immer sehr rätselhaft.«
Wir drehten den Körper um, und ich studierte eingehend den seltsamen Abdruck, der Anlaß unseres so unerfreulichen Unternehmens war. Inzwischen war der Gerichtsfotograf eingetroffen und baute seine Geräte auf. Fast den ganzen Nachmittag lang belichteten wir mit Hilfe der verschiedensten Spezialfilter und -linsen ganze Rollen von Infrarot-, Ultraviolett-, Farb-, Schwarzweiß- und Kontrastfilmen.
Dann griff ich in meine Arzttasche und holte ein halbes Dutzend schwarzer Ringe aus Acrylnitril-Butadien-Styrol-Plastik heraus oder, schlichter gesagt, aus dem Material, das man gewöhnlich als Dichtungen für Wasser- und Abwasserrohre verwendet. Alle Jahre wieder brachte ich einen für die Gerichtsmedizin tätigen Zahnarzt, den ich kannte, dazu, mir mit einer Bandsäge die neun Millimeter dicken Stücke verschiedenen Durchmessers zu schneiden und glattzuschmirgeln. Glücklicherweise mußte ich nicht oft solche merkwürdigen Hilfsmittel aus der Tasche holen, weil selten eine Bißspur oder ähnliche Abdrücke an einem Mordopfer zu sichern waren.
Ich entschied mich für einen Ring mit 7,5 Zentimeter Durchmesser. Mit einem Prägestempel kennzeichnete ich ihn auf beiden Seiten mit Emily Steiners Fallnummer sowie Ort und Zeit. Die menschliche Haut ist gespannt wie eine Malerleinwand, und um eine exakte anatomische Konfiguration des Abdrucks auf Emilys linker Gesäßhälfte zu erhalten, brauchte ich eine feste Unterlage.
»Haben Sie Super Glue zur Hand?« fragte ich Dr. Jenrette.
»Natürlich. « Er reichte mir eine Tube.
»Machen Sie bitte Aufnahmen von jedem Schritt unseres Vorgehens«, wies ich den Fotografen an, einen schmächtigen Japaner, der ständig in Bewegung war. Ich legte den Ring über die Abdruckstelle, klebte ihn mit dem Klebstoff fest und legte zur Sicherheit noch eine Naht. Dann schnitt ich die Haut rund um den Ring auf und legte ihn en bloc in Formalin. Währenddessen überlegte ich unablässig, was der Abdruck wohl zu bedeuten hatte. Es war ein unregelmäßiger Kreis, nicht ganz ausgefüllt von einer fremdartigen bräunlichen Verfärbung. Ich hielt sie für den Abdruck eines Musters. Aber ich fand nicht heraus, von welcher Art Gegenstand, so viele Polaroidaufnahmen aus den verschiedensten Blickwinkeln wir uns auch ansahen. An das Päckchen im weißen Seidenpapier dachten wir erst wieder, als der Fotograf gegangen war und wir dem Bestattungsunter nehmen Bescheid gesagt hatten, daß wir fertig waren.
»Und was machen wir damit?« fragte Dr. Jenrette.
»Wir müssen es öffnen.«
Er breitete trockene Handtücher auf einer Rollbahre aus und legte die Grabbeigabe darauf. Mit dem Skalpell schlitzte er vorsichtig das Papier auf und enthüllte eine alte Schuhschachtel für ein Paar Damenslipper Größe 36. Sie war mit einer dicken Schicht aus Tesafilmstreifen verschlossen. Er schnitt sie auf und hob den Deckel ab.
»Meine Güte«, sagte er leise und starrte entgeistert auf das, was sich da jemand als Grabbeigabe für ein kleines Mädchen hatte einfallen lassen.
In der Schachtel lag, verpackt in zwei Gefrierbeutel, ein totes Kätzchen, das nur wenige Monate alt gewesen sein konnte. Es war steif wie ein Brett, als ich es heraushob. Die zarten Rippen traten hervor. Es war ein Weibchen, schwarz mit weißen Pfoten und ohne Halsband. Von außen war nicht zu erkennen, woran es eingegangen war. Also brachte ich es in den Röntgenraum. Kurz darauf steckte ich die Aufnahmen vor den Lichtkasten.
»Die Halswirbelsäule ist gebrochen«, sagte ich und spürte, wie sich mir die Nackenhaare aufstellten.
Dr.
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