Body Farm
für Sie sind«, begann Wesley. »Aber berichten Sie uns erst mal vom neuesten Stand der Dinge?«
Marino sah so todunglücklich aus, wie ich ihn noch nie erlebt hatte. Er griff nach seinem Eistee und stellte ihn wieder ab, ohne einen Schluck zu trinken. Er klopfte die Taschen nach seinen Zigaretten ab, holte das Päckchen heraus und legte es auf den Tisch. Noch immer wortlos, zündete er sich eine an. Dabei schaute er uns nicht einmal an, was ich besonders beunruhigend fand, und gab sich so distanziert, als würden wir uns gar nicht kennen. Immer, wenn ich ein solches Verhalten bei einem Mitarbeiter erlebt hatte, wußte ich, was es bedeutete. Marino steckte in Schwierigkeiten. Er hatte sein Inneres gegen uns abgeschottet, denn er wollte nicht, daß man sah, was sich darin abspielte.
»Ein neuer Knalleffekt in unserem Fall ist der Hausmeister von Emily Steiners Schule«, fing er an, blies Rauch aus und klopfte nervös die Asche ab. »Nun, äh, der Name des Kerls ist Creed Lindsey, er ist weiß, männlich, vierunddreißig und arbeitet seit zwei Jahren als Hausmeister an der Grundschule. Davor war er Hausmeister in der Stadtbücherei von Black Mountain, und davor hatte er den gleichen verdammten Job an einer Grundschule in Weaverville. Ich möchte hinzufügen, daß es zu der Zeit, als der Kerl in Weaverville war, dort einen Unfall mit Fahrerflucht mit einem zehnjährigen Jungen als Opfer gab. Lindsey stand im Verdacht, darin verwickelt gewesen zu sein...«
»Augenblick mal«, sagte Wesley.
»Ein Unfall mit Fahrerflucht?« fragte ich. »Was heißt das, er war darin verwickelt?«
»Moment«, sagte Wesley. »Moment, Moment, Moment. Haben Sie mit Creed Lindsey gesprochen?« Er sah Marino an, der seinen Blick nur flüchtig erwiderte.
»Das ist es ja, worauf ich hinauswill. Der Schuft ist abgehauen. Genau in dem Augenblick, als er erfuhr, daß wir mit ihm reden wollten, ist er abgehauen - und ich will verdammt noch mal wissen, wer da sein fettes Maul aufgerissen hat. Aber einer muß es ja getan haben. Er ist nicht zur Arbeit erschienen, und in seiner Bude ist er auch nicht.«
Er zündete sich die nächste Zigarette an. Als die Kellnerin plötzlich neben ihm stand, um Tee nachzuschenken, schickte er sie mit einer Kopfbewegung weg. Es war die Geste eines Stammgastes, der immer ein gutes Trinkgeld hinterließ.
»Erzählen Sie von dem Unfall«, sagte ich.
»Im November vor vier Jahren hat irgendein Arschloch einen zehnjährigen Jungen, der mit dem Fahrrad unterwegs war, umgefahren. Der Wagen war in einer Kurve über die Mittellinie geraten. Das Kind war auf der Stelle tot. Alles, was die Cops herausbekommen haben, war, daß in der Gegend zur Zeit des Unfalls ein weißer Pickup gesehen wurde, der mit überhöhter Geschwindigkeit fuhr. An den Jeans des Jungen wurde weiße Farbe gefunden. Creed Lindsey fuhr damals einen alten, weißen Pickup, einen Ford. Es ist bekannt, daß er damals auf der Straße unterwegs war, auf der der Unfall passiert ist, und auch, daß er sich am Zahltag im Schnapsladen eingedeckt hatte. Und das war zufällig derselbe Tag, an dem es den Jungen erwischt hat.«
Marinos Blick wanderte ständig hin und her, während er redete und redete. Wesley und ich wurden immer unruhiger.
»Als die Cops ihn damals verhören wollten, bumms, war er weg«, fuhr Marino fort. »Fünf Wochen lang kommt er nicht zurück - sagt, er hat einen kranken Verwandten besucht oder irgend so was. Inzwischen war der beschissene Pickup natürlich so blau wie ein Rotkehlchenei. Jeder wußte, daß der Schweinehund es getan hat, aber man konnte es ihm nicht nachweisen.«
»Okay.« Wesleys Ton ließ Marino verstummen. »Das ist sehr interessant, und vielleicht hatte der Hausmeister mit dem Unfall zu tun. Aber worauf wollen Sie damit hinaus?«
»Das sollte doch einigermaßen klar sein.«
»Ist es nicht, Pete. Helfen Sie mir auf die Sprünge.«
»Lindsey mag Kinder, ganz einfach. Er sucht sich Jobs, in denen er Kontakt zu Kindern bekommt.«
»Für mich hört sich das so an, als suche er sich solche Jobs aus, weil er nichts anderes kann, als den Boden aufwischen.«
»Blödsinn. Das könnte er auch im Lebensmittelladen, im Altersheim oder sonstwo. Wo er gearbeitet hat, waren immer jede Menge Kinder.«
»Okay. Lassen wir es mal dabei. Er wischt also die Fußböden dort, wo es Kinder gibt. Und weiter?« Wesley musterte Marino, der sichtlich eine Theorie hatte, von der er nicht abzubringen sein würde.
»Vor vier Jahren tötet er
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