Body Farm
Schließlich hatte er schon gesagt, daß er mehr nicht wußte. Ich goß den Scotch schnell hinunter, weil ich seine Wirkung fühlen wollte.
»Ich fliege also morgen früh.«
Seine Finger arbeiteten sich bis in meine Haare vor. Es war ein wunderbares Gefühl.
Mit geschlossenen Augen erzählte ich ihm vom Nachmittag. Von meinem Besuch bei Lieutenant Mote im Krankenhaus. Von den Leuten in Rainbow Mountain, dem Mädchen, das immer nur in halben Sätzen redete, und von Creed, der wußte, daß Emily Steiner nach dem Gruppentreffen in der Kirche nicht die Abkürzung um den See genommen hatte.
»Es ist so traurig, weil ich es genau vor mir sah, als er davon sprach«, fuhr ich fort und dachte an ihr Tagebuch. »Sie wollte sich vorher mit Wren treffen, und der ließ sich natürlich nicht blicken. Während der Gruppenstunde hat er sie völlig ignoriert, und deswegen hat sie das Ende nicht abgewartet. Sie brach vor allen anderen auf. Sie rannte davon, weil sie verletzt war und sich gedemütigt fühlte, und sie wollte nicht, daß die anderen es merkten. Creed kam zufällig mit seinem Truck vorbei und sah sie. Er wollte sichergehen, daß sie wohlbehalten zu Hause ankam, denn er merkte, wie aufgewühlt sie war. Er mochte sie aus der Ferne, so, wie Emily Wren aus der Ferne mochte. Und dann hat sie diesen schrecklichen Tod gefunden. Es scheint, als drehe sich hier alles um Menschen, die jemanden lieben, ohne wiedergeliebt zu werden. Es geht um den Schmerz, nicht beachtet zu werden.«
»Mord hat eigentlich immer mit Nichtachtung zu tun.«
»Wo ist Marino?«
»Ich weiß nicht.«
»Er macht momentan alles falsch. Dabei weiß er es besser.«
»Ich glaube, er hat etwas mit Denesa Steiner.«
»Das weiß ich.«
»Ich kann mir vorstellen, wie es dazu kommen konnte. Er ist einsam, hatte nie besonderes Glück mit Frauen, und seit Doris ihn verlassen hat, weiß er gar nicht mehr, was er von ihnen halten soll. Denesa Steiner ist am Boden zerstört, hilflos und schmeichelt natürlich seinem angeknacksten männlichen Ego.«
»Offensichtlich besitzt sie eine Menge Geld.«
»Ja.«
»Wie kommt sie dazu? Ich denke, ihr verstorbener Mann war Lehrer?«
»Soviel ich weiß, hatte seine Familie viel Geld. Sie haben es drüben im Westen mit Öl oder so verdient. Du wirst die Einzelheiten deines Gesprächs mit Creed Lindsey wohl weitergeben müssen. Es sieht nicht allzugut für ihn aus.«
Das wußte ich.
»Ich kann mir denken, wie du dich dabei fühlst, Kay. Aber ich weiß nicht einmal genau, ob mir selbst ganz wohl bei dem ist, was du erzählt hast. Es gefällt mir gar nicht, daß er ihr mit seinem Wagen gefolgt ist und dabei die Scheinwerfer ausgeschaltet hatte. Es gefällt mir auch nicht, daß er wußte, wo sie wohnte, und daß er sich in der Schule so um sie bemüht hat. Und am allerwenigsten gefällt mir, daß er die Stelle aufgesucht hat, wo ihre Leiche gefunden wurde, und dort Süßigkeiten hingelegt hat.«
»Warum war die Haut in Fergusons Gefrierfach? Wie paßt Creed Lindsey in den Zusammenhang?«
»Die Haut hat entweder Ferguson hineingetan oder eine andere Person. So einfach ist das. Und ich glaube nicht, daß es Ferguson war.«
»Warum nicht?«
»Sein Persönlichkeitsprofil paßt nicht so recht ins Bild. Das weißt du selber.«
»Und Gault?« Wesley antwortete nicht.
Ich sah zu ihm hoch, denn ich kannte sein Schweigen. Es umfing mich wie der kühle Hauch in einer Höhle.
»Du verschweigst mir etwas«, sagte ich.
»Wir haben gerade einen Anruf aus London bekommen. Wir glauben, daß er wieder getötet hat, diesmal dort.«
Ich schloß die Augen. »Lieber Gott, nein.«
»Diesmal war es ein Junge. Vierzehn. Es ist nur wenige Tage her.«
»Die gleichen Merkmale wie bei Eddie Heath?«
»Abgeschälte Bißspuren. Schuß in den Kopf, Leiche einfach irgendwohin geworfen. Genügend Parallelen.«
»Das heißt aber nicht, daß Gault nicht in Black Mountain gewesen sein kann«, sagte ich. Die Skepsis in mir wuchs.
»Im Augenblick können wir nicht sagen, daß es das nicht heißt. Gault könnte überall sein. Aber ich weiß immer weniger über ihn. Zwischen den Fällen Eddie Heath und Emily Steiner gibt es zahlreiche übereinstimmende Merkmale, aber auch viele Unterschiede.«
»Es gibt Unterschiede, weil dieser Fall ein anderer ist«, sagte ich. »Und ich glaube nicht, daß Creed Lindsey die Haut in Fergusons Gefrierfach gelegt hat.«
»Hör mal, wir wissen nicht, warum sie dort lag. Wir wissen nicht, ob nicht jemand sie vor
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