Bodyfinder - Das Echo der Toten
Mackenzie Sherwin, und Violet war froh, das Bild von dem stolpernden, verwirrten Mädchen der letzten Nacht, das sie im Kopf hatte, durch das eines lächelnden Mädchens ersetzen zu können.
Sie stellte sie zu einem Pulk von Freiwilligen, der sich um einen der uniformierten Polizisten geschart hatte. Von ihm hoffte sie zu erfahren, wo sie ihren Onkel finden konnte. Doch es sah nicht so aus, als würde sie in absehbarer Zeit mit ihm sprechen können. Er wurde mit allen möglichen Fragen bestürmt.
»Wie lange wird sie schon vermisst?«
»Wurde sie hier zuletzt gesehen?«
»Glauben Sie, dass der Mörder sie geschnappt hat?«
»Rechnen Sie damit, dass man sie lebend findet?«
Innerlich stöhnte Violet auf und fragte sich, ob es ein Fehler gewesen war herzukommen. Aber sie fühlte sich verantwortlich, weil sie zu denen gehörte, die Mackenzie zuletzt gesehen hatten.
Violet spürte einen Stich des schlechten Gewissens. Ihre Schulkameradin hatte gestern Abend Hilfe gebraucht und niemand, auch sie nicht, hatte ihr zur Seite gestanden.
Kurzerhand beschloss Violet, auf eigene Faust weiter nach ihrem Onkel und ihrem Vater zu suchen, undwandte sich nach rechts. Da wurde sie von einer Frau angesprochen.
»Haben Sie sich schon in einer Gruppe eingetragen?«
Violet schaute auf, die Frage traf sie unvorbereitet. »Nein«, sagte sie und wollte erklären, dass sie gar nicht bei der Suche mitmachen wollte, aber ihr fehlten die Worte.
Die Frau reichte Violet eine Weste und teilte sie einer Gruppe zu. Sie wurde dem Leiter vorgestellt, einem Mann Ende fünfzig, Anfang sechzig mit kurz geschnittenem Haar, der sie freundlich begrüßte. Er stellte sich Violet als John Richter vor und lächelte ihr aufmunternd zu.
Er übernahm die Führung, las die Koordinaten auf der Karte und lotste sie zu dem Gebiet, das ihnen zugeteilt worden war. Fünf weitere Personen gehörten ihrer Gruppe an, zwei Frauen und drei Männer. Violet kannte keinen von ihnen.
Je tiefer sie in den feuchten, dunklen Wald eindrangen, desto unheilvoller erschien Violet die ganze Situation. Sie hatte keine Angst, aber auf eine unerklärliche Weise fand sie das, was sie gerade machte, beunruhigend. Sie ahnte, dass ihr Unterfangen sinnlos war, dass sie nur hier waren, um auszuschließen, dass Mackenzie die Party verlassen und sich im Wald verirrt hatte. Für Violet und vermutlich auch alle anderen lag es auf der Hand, was wirklich mit ihr passiert war.
Überall um Violet herum wurde Mackenzies Name gerufen. Einige Männer suchten mit langen Holzstäben den Waldboden ab.
Violet folgte ihrer Gruppe, bis sie das ihnen zugewiesene Gebiet erreichten. Hier bat John Richter sie, sich so zu verteilen, dass sie sich gegenseitig im Blick hatten, jedoch weit genug voneinander entfernt waren, um ein möglichst großes Waldstück abzudecken.
Violet tastete sich mit vorsichtigen Schritten Meter für Meter vor. Überall roch es vertraut nach Wald. Sie war umgeben vom harzigen Duft der Tannen und dem dumpfigen, erdigen Geruch verrottender Herbstblätter.
Die Luft war feucht und schwer von dem dunstigen Niederschlag, der für diese Jahreszeit im Pazifischen Nordwesten typisch war.
Er drang durch Violets Kleider und Schuhe, und schon nach kurzer Zeit war sie bis auf die Haut nass. Fröstelnd zog sie die Schultern hoch und schlang die Arme um ihre Brust.
Immer wieder schnappte sie Echos auf, doch sie waren nur schwach, und Violet ging davon aus, dass sie Tieren gehörten, die schon lange tot und im Unterholz des dicht bewachsenen Waldbodens begraben waren.
Ihre Gruppe zog immer größere Kreise, weitete ihr Gebiet kontinuierlich aus, traf auf andere Menschen, die sich an der Suche nach Mackenzie Sherwin beteiligten.Es war tröstlich, dass so viele Anteil nahmen und helfen wollten.
Plötzlich hörte Violet ein schrilles Klingen und fasste sich automatisch an die Hosentasche – doch sie hatte ihr Handy im Auto. Ihre Mutter würde sauer sein. Aber vermutlich hätte sie hier im Wald sowieso keinen Empfang.
Sie stieg über einen vermodernden Baumstamm, der im Weg lag, und stieß mit der Hand dagegen. Als ihre Finger die glitschige Schicht auf der Oberfläche berührten, musste sie unwillkürlich an Grady denken, an seine schleimige Zunge in ihrem Mund. Sie schüttelte sich, wischte die Hand an der Jeans ab und versuchte sich wieder auf die Suche nach Mackenzie zu konzentrieren. Doch ihre Gedanken schweiften von Grady zu Jay, zu seinem Kuss. Und auf einmal löste sich die kalte
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