Bodyfinder - Das Echo der Toten
kommen.
Da war das andere Geräusch wieder zu hören und jetzt wusste sie, was es war. Eine Stimme gellte durch den dichten Wald. Augenblicklich keimte Hoffnung in ihr auf, obwohl die Stimme noch zu weit weg war.
Ohne nachzudenken, schrie sie zurück: »HILFE! HILFE!!!« Es kam heiser und brüchig heraus, ihre Brust war immer noch wie zugeschnürt.
Sie versuchte das Tempo zu halten. Ihre Lunge brannte vor Anstrengung, und sie hatte heftige Seitenstiche.
Da war die Stimme wieder. Lauter, viel lauter. Und sie erkannte, wer nach ihr rief.
»Vi-o-let!«, hörte sie Jay schreien. »Vi!«
Am liebsten hätte sie vor Erleichterung geweint, aber noch war es nicht vorbei, noch war sie nicht in Sicherheit.
Vielleicht riss sie Jay nur mit sich ins Verderben.
»Hier!«, schrie sie. »Ich bin hier!«
Sie lavierte sich durch eine Baumgruppe hindurch, stieß jedoch mit der Schulter hart gegen einen Stamm und geriet ins Straucheln. Schlagartig verlor sie an Geschwindigkeit und wusste plötzlich nicht mehr, in welche Richtung sie laufen musste. Sie wollte wieder Tempo aufnehmen und merkte aber zu spät, dass sie am Steilufer des Flusses angelangt war.
Sie konnte den Sturz nicht mehr verhindern. Nur verschwommen nahm sie noch ihre Umgebung wahr, als sie hart auf dem Boden aufschlug.
Augenblicklich blieb ihr die Luft weg. Ein stechender Schmerz schoss durch ihren Kopf und vernebelte ihre Sinne.
Für einen Moment kam sie wieder zu sich. Kurz schlug sie die Augen auf und erwartete den Mann in Tarnkleidung über sich zu sehen. Aber er war nicht da.
Dann fielen ihr die Augen wieder zu, und sie glitt in einen unruhigen Dämmerzustand und fing an zu träumen.
Von Jay.
22. KAPITEL
Als Violet die Augen aufschlug, war sie verwirrt. Orientierungslos, wie wenn man in einem fremden Bett aufwacht und erst überlegen muss, wo man eingeschlafen ist. Wie um Gottes willen war sie bloß in den Rettungswagen gekommen?
Sie kriegte nicht mehr richtig zusammen, was passiert war, wie Fetzen eines Traums, die sich nur unvollständig zusammensetzen lassen.
Sie wusste noch, dass sie gerannt war …
Und gejagt wurde.
Eine Stimme hatte sie gerufen.
Sie versuchte sich aufzusetzen, aber sie war an der Krankentrage festgeschnallt und ihr Hals lag fest in einer Nackenstütze.
Sie wusste noch, dass sie gefallen war, ein ziehender Schmerz in ihrem Knöchel erinnerte sie daran. Sie versicherte dem Sanitäter, der sie begleitete, dass ihr Hals in Ordnung sei, aber er bestand darauf, dass er fixiert blieb, sosehr sie auch bettelte.
Schließlich gab Violet die Hoffnung auf, dass er sie daraus befreien würde. »Wie haben Sie mich gefunden?«, fragte sie.
»Ein Junge hat angerufen, dein Freund, wie er sagte. Er fährt hinter uns her.« Der Sanitäter zeigte mit seinem Klemmbrett nach hinten, als könnte Violet durch die geschlossene Tür etwas sehen. »Der denkt wohl, die Sirenen gelten auch für ihn.«
Violet schloss die Augen. Jay war da gewesen, sie hatte nicht geträumt. Er hatte sie gesucht. Sie verbot sich den Gedanken, was wohl passiert wäre, wenn er nicht gekommen wäre.
Ein Gefühl der Erleichterung durchströmte sie, jetzt war sie in Sicherheit. Sie hielt die Augen geschlossen und konzentrierte sich auf das Heulen der Sirene, um sich von dem pochenden Schmerz in ihrem Knöchel abzulenken.
Als der Rettungswagen auf den Parkplatz der Notaufnahme fuhr, kam Jay zu ihr in den Wagen und wich ihrnicht von der Seite. Er hielt ihre Hand, während sie von den Gurten befreit wurde. Und als sie schließlich in einen Raum geschoben wurde, in dem die Betten durch bodenlange Vorhänge voneinander getrennt waren, zog er sich einen Stuhl ganz nah heran.
Er umfasste ihre Hand mit seinen Händen und berührte ihre Fingerspitzen mit den Lippen. »Wie geht es dir?« Endlich schien er seine Sprache wiedergefunden zu haben.
Violet hatte ein schlechtes Gewissen, weil er sich ihretwegen solche Sorgen machte. »Mir geht es gut, echt. Ich glaube, ich hab mir nur den Fuß ein bisschen verknackst. Nicht der Rede wert. Sobald meine Eltern hier sind, können wir nach Hause.«
»Warum bist du so weit vom Weg abgekommen, Vi?« Jay streichelte zärtlich ihren Arm.
Sie gab keine Antwort. Das war ein Thema, über das sie jetzt noch nicht sprechen wollte, schon gar nicht mit Jay. Also stellte sie ihrerseits eine Frage. »Ich dachte, deine Mutter und du, ihr wärt den ganzen Nachmittag im Garten beschäftigt?«
Das Ablenkungsmanöver war erfolgreich. »Ach, irgendwie
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