Boerewors und Chardonnay: Ein Jahr in Südafrika
online. Unsere neuen Freunde in Johannesburg applaudieren und beteuern uns, das sei ein neuer Rekord.
Das Seltsame an Südafrika ist, dass man alles kriegen kann. Kabelloses ADSL, Sauerkirschen, Marroni, Schmuck von Thomas Sabo, Minotti-Sofas, das neuste Mobil-Telefon. Die Infrastruktur ist top, jedenfalls in den Kerngebieten. Aber leider kommt immer wieder etwas dazwischen: Streiks, misslungene Lieferungen, ein lustloser Verkäufer. So einfach fällt einem hier nichts in den Schoss.
Beim Nachtessen und nachdem die Kinder im Bett sind, erzähle ich Lukas jeweils von meinen Anstrengungen und Frustrationen. Erwartungsgemäss kann er mithalten, ja sie oft sogar übertrumpfen mit den Geschichten aus seinem Büroalltag.
KehlTech, die Firma für die Lukas arbeitet, verkauft und produziert Maschinen und Anlagen für die Lebensmittelherstellung und
-verarbeitung. Es ist eine typisch schweizerische Industriefirma, die Qualität liefert und daher Marktführerin in ihrer Branche ist. Die KehlTech Anlagen können offenbar auch in den ärmsten und abgelegensten Gegenden gefunden werden, weil auch dort Lebensmittel verarbeitet werden müssen. Gerade dort, so scheint es, leben die Maschinen oft bedeutend länger als ihre Käufer.
Als Nachfolger von Urs übernimmt Lukas die Leitung der südafrikanischen Niederlassung in Johannesburg, von wo aus das ganze südliche Afrika bedient wird. KehlTech Johannesburg besteht aus einem mittelgrossen Bürobetrieb und dem sogenannten workshop , wo verschiedene Maschinen produziert werden. Dort arbeiten über 100 Schlosser, Schweisser und Spengler. Sie strömen morgens sehr früh aus verschiedenen Himmelsrichtungen in Taxis zur Arbeit, essen am Mittag in der Kantine das typische südafrikanische Gericht pap 'n' gravy , also Maismehlbrei mit Sauce, und hinterlassen am späteren Nachmittag das Fabrikgelände wieder still und leer. Die Löhne dieser meist schwarzen Arbeiter werden von den Metallarbeiter-Gewerkschaften ausgehandelt. In diesem Jahr sind die Verhandlungen, wie üblich, nicht gemäss den Vorstellungen der Gewerkschaften verlaufen, weshalb vor zwei Wochen gestreikt wurde. Die Arbeiter, die keineswegs - oder zumindest nicht zwingend - etwas gegen ihren Arbeitgeber KehlTech haben, mussten beim Streik der Gewerkschaften ausnahmslos mitmachen. Streikbrecher werden in Südafrika nicht gerade zimperlich behandelt. Jeden Tag kann in den Nachrichten verfolgt werden, wie Streikbrecher umgebracht werden. Eine besonders beliebte Form ist es offenbar, sie aus einem fahrenden Zug zu stossen.
Der Streik war also angesagt, die Firma und ihre Kunden konnten sich darauf einstellen und die nötigen Massnahmen ergreifen. Das Management und auch die Kunden seufzten und zuckten mit den Schultern – so ist das hier halt nun mal. Man arrangiert sich, und nach dem Streik wird die Arbeit da wieder aufgenommen, wo sie vorher unterbrochen worden ist.
Wie bei ihren Kunden ist auch bei KehlTech das Management mehrheitlich weiss mit einer Prise indisch. Der Streik der Metallarbeiter geht sie nichts an, für sie geht die Arbeit weiter wie bisher.
In der Firma kann beobachtet werden, wie die einzelnen Nationalitäten bzw. Rassen klüngeln: Schwarze bleiben unter sich, Inder bilden kleine Grüppchen, afrikaans-sprechende Mitarbeiter suchen sich Kollegen gleicher Muttersprache und die Schweizer, von denen es eine ganze Anzahl hat, haben eine Clique gebildet, die sich auch in der Freizeit mit den Familien trifft.
Im geschäftlichen Umfeld und in der Zusammenarbeit mit Kunden findet Lukas, dass es keine Unterschiede zwischen südafrikanischen und europäisch-amerikanischen Gepflogenheiten gibt. Eigentlich hatte er erwartet, dass hier auf Pünktlichkeit keinen grossen Wert gelegt wird. Doch dieses Vorurteil hat sich nicht bewahrheitet, sogar wir Schweizer können uns über mangelnde Pünktlichkeit nicht beklagen. Ein Unterschied im Vergleich zu Europa vor allem, aber auch zu Amerika ist Lukas hingegen aufgefallen: In Südafrika kleiden sich die Geschäftsleute bedeutend lockerer. Mein Mann hat nichts dagegen einzuwenden.
Einen grösseren Unterschied erfährt Lukas dahingehend, dass in Südafrika viel mehr improvisiert werden muss als man sich von Europa gewöhnt ist. Der Streik der Metallarbeiter zum Beispiel brachte mit sich, dass die Produktions- und Lieferungspläne überdacht und angepasst werden mussten. Flexibilität ist nicht nur ein Schlagwort, sondern Alltagsnotwendigkeit. „ Maak 'n plan “ ist der
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