Böse Dinge geschehen
auch jetzt noch.«
»Darüber müssen Sie sich keine Sorgen machen«, sagte Shan. »Wenn Sie uns sagen, wer das war, dann werden wir nur mit ihm reden. Wir werden ihn nicht wegen des Mordes an Tom Kristoll einbuchten.«
Valerie öffnete ihre Hände. »Die Sache ist, dass ich mir nie so ganz sicher war. Er hat es vielleicht gar nicht getan.«
»Wer war das denn?«
»Jemand, mit dem ich damals ausgegangen bin. Also, richtig Ausgehen war das eben nicht. Wir sind Mittagessen gegangen, ins Kino. Er wollte, dass mehr daraus wird. Als ich ihm sagte, dass ich nicht interessiert bin, hat er es sehr schlecht aufgenommen. Er ist nicht wütend geworden – er hat nur so vor sich hin gebrütet. Nur wenige Tage später ist dann das mit meinem Auto passiert.«
»Wie heißt er?«
»Ich weiß nicht, ob er es wirklich war«, sagte Valerie. »Später habe ich mir selbst eingeredet, dass er es nicht war. Er ist seitdem ganz in Ordnung gewesen.« Sie setzte die schwarze Brille ab. »Wenn ich es Ihnen sage, werden Sie ihm dann erzählen, dass ich es war?«
»Nur, wenn es unbedingt sein muss«, sagte Shan.
»Das ist es nicht, was ich hören wollte. Sie sollten lügen und mir sagen, dass er es nie erfahren wird.«
»Wir brauchen seinen Namen.«
»Er heißt Adrian. Adrian Tully.«
|90| Adrian Tully wohnte in einer heruntergekommenen Wohnung. Die Möbel waren vom Sperrmüll, die Bücherregale aus Backsteinen und Brettern gezimmert. Bücher bedeckten die Regale, stapelten sich auf Sesseln und Sofakissen. Tully selbst sah allerdings sehr gepflegt aus. Er hatte einen rasierten Schädel, einen gepflegten Schnurrbart und ein Ziegenbärtchen. Sein Polohemd und seine Hosen waren faltenlos. Er ließ Elizabeth und Shan an seinem Küchentisch Platz nehmen.
»Ich fürchte, ich hatte nie sehr viel mit Mr Kristoll zu tun«, sagte er. »Deshalb glaube ich nicht, dass ich Ihnen eine große Hilfe sein werde.«
»Schon klar«, sagte Elizabeth. »Wir müssen einfach mit jedem reden, der bei
Gray Streets
mitgearbeitet hat. Das verstehen Sie doch sicher.«
»Ich habe mich schon gefragt, wie die Ermittlungen vorangehen«, sagte Tully. »Haben Sie irgendwelche Spuren? Das brauche ich wahrscheinlich gar nicht erst zu fragen. Das dürfen Sie mir nicht sagen, oder?«
»Eigentlich nicht.«
»Das hat mich immer schon fasziniert – wie jemand ein Verbrechen aufklärt. Ich meine, halten Sie sich strikt an die Indizien? Haben Sie Intuitionen?«
»Ich habe Intuitionen«, sagte Shan. »Detective Waishkey hat Theorien. Hypothesen.«
Mitten auf dem Tisch standen Lebensmittel: Suppendosen, Packungen mit Makkaroni und Käse. Tully schob sie zur Seite.
»Ich habe ein Buch gelesen, in dem behauptet wird, dass man alles aufklären, jede Frage beantworten kann, wenn man nur ausreichend viele Leute befragt«, sagte er. »Die Idee ist, dass wir als Kollektiv Dinge wissen, die der Einzelne nicht weiß. Es ist nicht so seltsam, wie es sich anhört. Forscher haben entsprechende Experimente gemacht. Nehmen Sie zum Beispiel ein Glas mit Geleebonbons und lassen Sie dann irgendwelche Leute raten, wie viele Bonbons in dem Glas sind. Wenn Sie Ihre |91| Antworten nehmen und daraus den Durchschnitt ermitteln, dann bekommen Sie eine Zahl, die der tatsächlichen sehr nahe kommt, wahrscheinlich näher als das, was jede Einzelne geraten hat.«
Carter Shan schien aufmerksam zuzuhören. Elizabeth, die wusste, dass er schauspielerte, war trotzdem halbwegs überzeugt, dass er von Tullys Ausführungen fasziniert war.
»Darüber habe ich noch nie nachgedacht«, sagte Shan zuvorkommend. »Wollen Sie damit sagen, wir sollten die Leute raten lassen, wer Tom Kristoll ermordet hat?«
»Na ja, wenn Sie es so ausdrücken, hört es sich albern an«, sagte Tully.
»Nein, nein, es klingt ganz logisch. Wir sollten das ausprobieren«, sagte Shan. »Vielleicht könnten wir gleich damit beginnen. Wer, glauben Sie, könnte ihn umgebracht haben?«
»Ich weiß es nicht. Was immer ich Ihnen sage, wäre immer nur eine bloße Vermutung.«
»Das ist schon in Ordnung.«
»Ich weiß es nicht. Ich vermute – David Loogan.«
Shan sah überrascht aus. »Warum kommen Sie jetzt gerade auf ihn?«
»Es ist bloß eine Vermutung.«
»Aber es muss doch auf irgendetwas basieren.«
»Also, ich möchte nichts Unpassendes sagen, aber ich glaube, er hat vielleicht eine Affäre mit Laura.«
Elizabeth mischte sich ein. »Tatsächlich? Wie kommen Sie darauf?«
»Bloß durch die Art, wie sie sich verhalten, wenn
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