Böse Freundin (German Edition)
ganze Weile – es glich einem kaum wahrnehmbaren Laut, einem Vibrieren, so langsam und gleichmäßig, dass man es für Stille hatte halten können.
«Warte», sagte er. Celias Schultern verspannten sich. Die Hündinnen spitzten die Ohren.
Ihr mitzuteilen, was ihm soeben aufgegangen war, hätte bedeutet, dass sie es mit ins Flugzeug tragen müsste, es in den folgenden vier Tagen den freien Platz neben ihr auf der Matratze besetzt hielte, einen Abdruck auf dem zweiten Kissen hinterließe.
«Du wirst mir fehlen», sagte er stattdessen und küsste sie noch einmal. Sie lächelte, und dann war sie fort.
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5. Kapitel
Nachts ließ sich die Karotapete der Schottischen Suite zur Not für geschmackvoll halten, dank der spärlichen Raumbeleuchtung, in der Celia gerade noch die Titel der Bücher auf dem Regal an der gegenüberliegenden Wand entziffern konnte. Es war eine informelle Geschichte dessen, womit sich die Familie in der Vergangenheit beschäftigt hatte, geordnet nach Themen wie Ahnenforschung, Ratgeber für Hausbesitzer, berufliche Selbsteinschätzung, Schulberatung, Gartenpflege und Fantasy-Baseball. Eine Reihe von Reiseführern, manche zerlesen, andere unberührt, zeugten von Warrens Ehrgeiz, sämtliche großen Nationalparks des Landes abzuklappern, ein Ziel, das er auf Eis legte, als der Preis für eine Gallone Benzin die Zwei-Dollar-Marke überschritt. Ohne einen echten Gast an ihrer Seite hatte Celia das Gefühl, wie die anderen ausrangierten Dinge ins Gästezimmer verbannt worden zu sein, in ein Exil, zu dem es keine Alternative gab.
Ihre Einsamkeit in jener ersten Nacht machte das Klappsofa noch unbequemer als sonst, versetzte sie in einen hyperwachen Zustand, in dem ihr verschiedene Versionen der Gespräche durch den Kopf gingen, die sie führen musste. Sie probierte es vergebens mit ruhigen, tiefen Atemzügen und versuchte dann, ihre Gedanken in einem Strom trivialer Details der letzten Qualitätsprüfungen zu ertränken. Sie zählte Schäfchen in Form der Bewertungsziffern für die Automatenverkäufe, bei denen Pepsi Coca-Cola ausgestochen hatte. Sie betete die Zahlenkolonnen herunter, die besagten, zu wie viel Prozent der Bettenbedarf in psychiatrischen Kliniken die Kapazitäten überstieg. Irgendwann war die Schwelle zur Erschöpfung erreicht. Statistiken knüppelten Celias mentale Probeläufe für den kommenden Tag nieder, bis nichts davon mehr verständlich klang und in ihrem Kopf ein einziges Blöken und Jaulen herrschte.
Als die Morgensonne sich durch einen Spalt im Rollladen hereinstahl, fuhr Celia panisch hoch, weil sie nicht mit den Hunden Gassi gegangen war. Sie war schon mit einem Fuß aus dem Bett, ehe ihr wieder einfiel, wo sie sich befand. Laut ihrer Armbanduhr war es acht. Ihr Vater fuhr immer schon früh zum Schwimmen, aber Noreens Schultag begann nicht vor neun. «Mommy?», rief sie, obwohl die Stille im Haus ihr sagte, dass sie allein war. Ihre Armbanduhr zeigte noch die Chicagoer Zeit an.
Celia wagte sich im Nachthemd hinaus auf den Flur. Als Kinder hatten sie und Jeremy auch im Pyjama nach unten gehen dürfen, doch ihre Eltern verließen das Schlafzimmer stets vollständig bekleidet: eine Angewohnheit, die Celia irgendwann übernommen hatte, bis Huck – ganz zu Beginn ihrer Beziehung, seine erste Forderung überhaupt an sie – sich weigerte, einer Frau, die mehr als einen Bademantel trug, nach dem Sex Pfannkuchen zu servieren. Barfuß auf dem Treppenläufer fühlte sich Celia an einen Weihnachtsmorgen, ungefähr 1981, zurückversetzt. In der Küche fand sie einen Zettel neben einem frisch gebrühten halben Becher Kaffee – Guten Morgen! Ruf an, wenn du wach bist. Liebe Grüße, Mom . Darunter stand die Telefonnummer des Büros, als hätte Celia die vergessen können. Draußen vor dem Küchenfenster ging der Tag ohne sie seinen Gang. Einen Moment lang war Celia ein Schulkind, das zu Hause bleiben musste. Das Sonnenlicht, das durch die Vogelfutterröhre fiel, spannte ein leuchtend rotes Band über den Tisch. Das mit den Vögeln war neu. In Celias Teenagerzeit hatte ihr Vater ein streunendes Kätzchen aufgelesen, das sich als passionierter Jäger entpuppte. Noch Jahre später, als Celia schon aufs College ging, hatte es an einem offenbar traumatischen Erlebnis aus der Zeit seines Vagabundenlebens gelitten, das es zwang, zwischen jedem Bissen zu maunzen. Einen Monat nach Howlers Tod hatte Noreen die Vogelfutterröhre angeschafft, in stillem Protest gegen
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