Böse Freundin (German Edition)
Valentinsgrußes aus dem Stapel, der nach dem Aussortieren der besten Karten übrig blieb. Leanne war immer mit einem anderen Schulbus gefahren, und Celia hielt es für sinnlos, sich an eine Telefonnummer erinnern zu wollen, die sie mit einiger Sicherheit nie gewählt hatte. Beckys alte Nummer hingegen war ihr von vielen Anrufen noch so vertraut, dass sie eigentlich imstande sein müsste, sie auf einer Liste wiederzuerkennen. Celia durchforstete die unzähligen Millers. Sie erinnerte sich an einen Baum mit rauer Rinde und oberirdischen Wurzeln, an eine Wand im Kinderzimmer mit einem aufgemalten Regenbogen, an eine jüdische Menora und ein Weinglas auf einem Bord im Wohnzimmer, doch keine der Adressen und Ziffernfolgen kamen ihr bekannt vor. Dann fiel es ihr wieder ein: Beckys Eltern hatten sich scheiden lassen. Celia war damals in der Mittelstufe gewesen und hatte die Neuigkeit von Dritten erfahren, beim Anstehen in der Cafeteria. Mrs. Miller, eine adrette Frau mit kurzem Haar, riss gern über ihre eigene Tollpatschigkeit Witze; Mr. Miller hatte eine scharf geschnittene Nase und redete Celia stets mit «Miss Durst» an.
Wieder am Computer, tippte Celia Beckys und Leannes Namen in eine Personensuchmaschine ein, die zu viele in Frage kommende Einträge für Becky, aber nur einen einzigen für eine Lee Forrest im richtigen Alter ausspuckte, die einen Ort weiter lebte. Für 14 Dollar 95 erfuhr Celia auch Anschrift und E-Mail-Adresse. Es war geradezu erschreckend einfach. Während sie sich noch mit den passenden Formulierungen für eine E-Mail abmühte, kam ihr eine Erinnerung an Leanne. In irgendeiner Pause hatten sie ein Springseil hinter sich hergezogen, vom Schulhof zum Rand des Fußballplatzes. Es war als Anschauungsmaterial für eine improvisierte Vorführung im Knotenknüpfen gedacht, mit der Leanne Djuna beweisen sollte, dass es etwas gab, was sie gut konnte. Schüchtern und selbstsicher zugleich hatte Leanne mit ihren kurzen Fingern das Seil zu schönen Schlingen gewunden.
«Das ist ein Palstek», hatte sie leise erläutert. «Der ist gut, weil er nie aufgeht oder sich verheddert. Damit kann man so ziemlich alles festbinden. Dann ist da noch der Kreuzknoten.»
Djuna sah mürrisch zu. «Den kennt doch jeder.»
«Oh», sagte Leanne entschuldigend und brachte ihn noch rasch zu Ende, bevor sie ihn wieder verschwinden ließ. «Tja … dann vielleicht der hier?» Sie legte das Seil einmal über Kreuz, wand es dann um sich selbst und zog das Ende durch die doppelt verdrehte Schlinge. «Das nennt man eine Endacht.» Sie legte Djuna den festgezurrten Knoten, ein Strick gewordenes Symbol der Unendlichkeit, zur Überprüfung vor. «Ein Freund von mir ist bei den Pfadfindern. Da machen sie dauernd so was.» Leanne beäugte das Seil wie einen köstlichen Leckerbissen.
«Cool», sagte Djuna und zog an beiden Enden des Knotens. Auf dem Rückweg zum Unterricht durfte Leanne, statt wie sonst immer Celia, neben Djuna gehen. Celia war eifersüchtig gewesen, obwohl sie wusste, dass solche Ereignisse – wie ein zweifacher Regenbogen oder Hagel im Sommer – zu selten eintrafen, als dass sie Begehrlichkeiten wecken konnten: ein flüchtiger Moment der Gnade, der so unerklärlich enden würde, wie er begonnen hatte.
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7. Kapitel
Das Geräusch der zuschlagenden Haustür drang nach oben und ließ Celias Hände über der Tastatur erstarren. Nach der beklemmenden Begegnung am Vormittag konnte das erneute Zusammentreffen mit ihrer Mutter auf beiden Seiten nur Unbehagen hervorrufen. In ihrer Familie wurden Konflikte eher unter den Teppich gekehrt als ausgetragen; man deckte sie mit Höflichkeit zu, bis der Ärger unter dem Gewicht von so viel Anstand erstickte.
«Cee Ceee-ee, ich bin wieder da-ha!»
Die Überzeugung, dass ihre Mutter zur Tür hereingekommen war, machte Warren einen Augenblick lang zu einem Fremden. Da ist ein Mann im Haus , dachte Celia und begriff dann, dass es ihr Vater war. Als kleines Mädchen wäre sie, «Daddy! Daddy!» krähend, in seine ausgebreiteten Arme gelaufen und hätte es vor lauter Erleichterung womöglich auch jetzt getan, wenn sie nicht gewusst hätte, dass Warren seinem Tagesplan zufolge eigentlich noch in der Uni sein sollte. Er stand unten an der Treppe, und von oben sah sie, dass sein Haar, im Gegensatz zu dem von Noreen, noch so dicht war wie eh und je.
«Bist du nicht zu früh dran?», fragte sie.
«Mittwochnachmittags ist im Studentensekretariat nicht allzu
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