Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
der bis dahin geschwiegen, aber schon seit gestern an der eigenen Nachgiebigkeit und Willfährigkeit gelitten hatte, Kirillows Vorschlag auf und redete ebenfalls:
»Ich schließe mich voll und ganz den Worten des Herrn Kirillow an. Die Vorstellung, daß man sich an der Barriere nicht mehr versöhnen könne, ist nichts als ein Vorurteil, das Franzosen ansteht. Ich sehe außerdem keine Beleidigung, ich bitte Sie, ich hatte schon lange die Absicht, dies vorzubringen … Denn es wird doch jede gewünschte Entschuldigung angeboten, nicht wahr?«
Er wurde über und über rot. Es kam nur selten vor, daß er so viel und mit solcher Beteiligung sprach.
»Ich möchte nochmals mein Anerbieten bestätigen, jede erdenkliche Entschuldigung vorzubringen«, fügte Nikolaj Wsewolodowitsch eilig hinzu.
»Ist das möglich!« schrie Gaganow, zu Mawrikij Nikolajewitsch gewandt, und stampfte außer sich vor Wut mit dem Fuß auf. »Erklären Sie diesem Menschen, wenn Sie mein Sekundant und nicht mein Feind sind, Mawrikij Nikolajewitsch« (er deutete mit der Pistole auf Nikolaj Wsewolodowitsch), »daß eine solche Nachgiebigkeit die Beleidigung höchstens vergrößert! Er hält es für unmöglich, von mir beleidigt zu werden! … Er empfindet es nicht als skandalös, noch an der Barriere vor mir auszuweichen! Für wen hält er mich, nach alldem, was glauben Sie … und Sie sind mein Sekundant! Sie reizen mich nur, damit ich nicht treffe!« Er stampfte wieder auf, Speichel sprühte von seinen Lippen.
»Die Verhandlungen sind zu Ende, bitte auf das Kommando hören!« rief Kirillow, so laut er konnte. »Eins! Zwei! Drei!«
Bei dem Wort drei begannen die Gegner aufeinander zuzugehen. Gaganow hob sofort seine Pistole und schoß beim fünften oder sechsten Schritt. Er blieb eine Sekunde stehen, überzeugte sich, daß er nicht getroffen hatte, und trat rasch an die Barriere vor. Nikolaj Wsewolodowitsch trat ebenfalls vor, hob die Pistole, aber irgendwie sehr hoch, und schoß, fast ohne zu zielen. Dann zog er ein Taschentuch hervor und wickelte es um den kleinen Finger der rechten Hand. Erst jetzt bemerkte man, daß Artemij Pawlowitsch doch nicht ganz gefehlt hatte, aber die Kugel hatte den Finger nur gestreift, das Fleisch über dem Gelenk, ohne den Knochen zu berühren; es war ein unbedeutender Kratzer. Kirillow verkündete sogleich, daß das Duell, wenn die Gegner nicht befriedigt seien, fortgesetzt werden könne.
»Ich erkläre«, krächzte Gaganow (plötzlich war seine Kehle trocken), wobei er sich an Mawrikij Nikolajewitsch wandte, »daß dieser Mensch« (wieder deutete er auf Stawrogin) »absichtlich in die Luft geschossen hat … vorsätzlich …, wieder eine Beleidigung! Er will das Duell vereiteln!«
»Ich habe das Recht, zu schießen, wie ich will, es muß nur nach der Regel sein«, erklärte Nikolaj Wsewolodowitsch mit Bestimmtheit.
»Nein, das hat er nicht! Machen Sie ihm das begreiflich! Machen Sie ihm das begreiflich!« schrie Gaganow.
»Ich schließe mich vollständig der Meinung Nikolaj Wsewolodowitschs an«, verlautbarte Kirillow.
»Wieso schont er mich?« tobte Gaganow, ohne zuzuhören. »Ich verachte seine Schonung … Ich pfeife darauf …«
»Ich gebe mein Ehrenwort, daß ich Sie keineswegs beleidigen wollte«, sagte Nikolaj Wsewolodowitsch ungeduldig. »Ich habe in die Luft geschossen, weil ich niemand mehr töten will, weder Sie noch irgend jemand anderen, und das geht Sie persönlich nichts an. Es ist wahr, ich halte mich nicht für beleidigt, und ich bedaure, daß Sie sich darüber ärgern. Aber ich gestatte keinem, mir mein Recht streitig zu machen.«
»Wenn er sich so vor dem Blutvergießen fürchtet, warum hat er mich dann gefordert? Fragen Sie ihn doch!« brüllte Gaganow, immer noch zu Mawrikij Nikolajewitsch gewandt.
»Wie sollte man Sie nicht fordern?« mischte sich Kirillow ein. »Sie wollten doch nicht hören, wie sollte man Sie sonst loswerden!«
»Ich erlaube mir nur die folgende Bemerkung«, sagte Mawrikij Nikolajewitsch, der diesen Wortwechsel mit Überwindung und Schmerz verfolgt hatte: »Wenn ein Gegner im voraus erklärt, daß er in die Luft zu schießen beabsichtigt, dann kann das Duell tatsächlich nicht fortgesetzt werden, aus Gründen … des Feingefühls und … das ist doch wohl selbstverständlich.«
»Ich habe keineswegs gesagt, daß ich jedesmal in die Luft schießen werde!« rief Stawrogin, der langsam die Geduld verlor. »Sie wissen ja gar nicht, was ich im Kopf habe und
Weitere Kostenlose Bücher