Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
war der unwillkürliche Aufschrei einer Korobotschka, die ihr Hab und Gut in Flammen aufgehen sieht. Alle stürzten dem Ausgang zu. Ich verzichte auf die Beschreibung des Gedränges im Flur, beim Suchen nach Mänteln, Tüchern, Pelerinen, des Kreischens erschrockener Frauen und des Weinens junger Mädchen. Man kann wohl nicht von Diebstahl sprechen, aber es war nicht verwunderlich, daß bei einem solchen Durcheinander mancher tatsächlich ohne warme Kleidung davonfuhr, weil er sie nicht gefunden hatte, worüber noch lange in der Stadt Legenden und Schauergeschichten kursierten.
Lembke und Julija Michajlowna wurden in der Tür beinahe erdrückt.
»Alle anhalten! Kein einziger verläßt den Saal!« kommandierte Lembke und streckte gebieterisch seinen Arm den Herandrängenden entgegen. »Alle anhalten! Leibesvisitation, bei allen, unverzüglich!«
Aus dem Saal regnete es handfeste Schimpfworte.
»Andrej Antonowitsch! Andrej Antonowitsch!« rief Julija Michajlowna in völliger Verzweiflung.
»Als erste verhaften!« kommandierte dieser und richtete drohend seinen Finger auf sie, »Leibesvisitation! Der Ball wurde zum Zweck der Brandstiftung veranstaltet …!«
Sie schrie auf und fiel in Ohnmacht (oh, diesmal gewiß in eine richtige Ohnmacht). Ich, der Fürst und der General eilten ihr zu Hilfe; es gab auch andere, die uns in diesem schwierigen Augenblick halfen, sogar einige Damen. Wir trugen die Unglückliche aus diesem Inferno in ihre Equipage; aber sie kam erst zu sich, kurz bevor wir ihr Haus erreichten, und ihr erster Gedanke war abermals Andrej Antonowitsch. Nachdem ihre sämtlichen Wunschträume in Trümmern lagen, blieb ihr nur noch Andrej Antonowitsch. Man schickte nach einem Arzt. Ich wartete eine ganze Stunde bei ihr, ebenso der Fürst; der General erklärte sich in einer Anwandlung von Großmut (obgleich selbst zutiefst erschrocken) bereit, die ganze Nacht nicht vom »Lager der Unglücklichen« zu weichen, schlief aber bereits zehn Minuten später im Salon, noch in Erwartung des Arztes, in einem Lehnstuhl ein, wo wir ihn getrost der Ruhe überließen.
Dem Polizeimeister, der vom Ball zu den Brandstellen eilen wollte, war es gelungen, hinter uns auch Andrej Antonowitsch herauszuführen und ihn bis zu Julija Michajlownas Equipage zu geleiten, es gelang ihm allerdings nicht, ihn zum Einsteigen zu bewegen, obwohl er ihm nach Kräften zuredete, »der Ruhe zu pflegen«. Aber er gab, ich weiß nicht, warum, Anton Antonowitsch nach. Natürlich wollte dieser nichts von Ruhe hören und drängte zur Brandstätte; aber das war doch unvernünftig. Schließlich war er es selbst, der Lembke in seinem Wagen zur Brandstätte mitnahm. Später erzählte er, daß Lembke während der ganzen Zeit unterwegs gestikuliert und »solche Ideen kommandiert« habe, die »auf Grund der Ungewöhnlichkeit nicht ausführbar« waren. Später war auch im amtlichen Bericht zu lesen, daß Seine Exzellenz zu jener Zeit »infolge der Plötzlichkeit des Schreckens« sich in einem Fieberwahn befunden hätte.
Es wäre müßig zu erzählen, wie der Ball endete. Ein paar Dutzend Zecher, darunter sogar einige Damen, waren in den Sälen geblieben. Von der Polizei keine Spur. Die Musik hatte man nicht fortgelassen und diejenigen Musikanten, die gehen wollten, verprügelt. Gegen Morgen lag »Prochorytschs Aufbau« in Trümmern. Man trank bis zur Besinnungslosigkeit, tanzte Komarinskij ohne Zensur, beschmutzte die Räume, und erst im Morgengrauen zog ein Teil dieser Kumpane stockbesoffen an die bereits verlöschende Feuerstätte zu neuen Heldentaten … Die andere Hälfte nächtigte in den Sälen, in volltrunkenem Zustand, mit allen sich daraus ergebenden Folgen, auf den mit Samt bezogenen Sofas und auf dem Fußboden. In der Frühe, bei erster Gelegenheit, schleppte man sie an den Beinen auf die Straße hinaus. So endete das Fest zugunsten der Gouvernanten unseres Gouvernements.
IV
DAS Feuer versetzte den Teil unseres Publikums, der jenseits des Flusses wohnte, gerade dadurch in Schrecken, daß an einer Brandstiftung nicht zu zweifeln war. Es war bemerkenswert, daß auf den ersten Schrei »Es brennt!« sogleich geschrien wurde, daß die »Schpigulinschen das Feuer gelegt« hätten. Inzwischen weiß man ganz genau, daß in der Tat drei Schpigulinsche an der Brandstiftung beteiligt waren – aber das ist auch alles; alle übrigen Beschäftigten der Fabrik wurden sowohl von der öffentlichen Meinung, als auch von offizieller Seite vollkommen
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