Böse Liebe - Ein Alex-Delaware-Roman 8
psychologische Zeitschrift zu lesen, konnte mich aber nicht konzentrieren. Ich schaute mir die Nachrichten an, machte fünfzig Liegestütze und wühlte weiter in meinen Akten, bis ich alle durchhatte. Kindernamen und fast vergessene Krankengeschichten. Kein Hinweis auf »böse Liebe«. Niemand, der den Wunsch haben könnte, mir Angst einzujagen.
Kurz vor Mitternacht baute ich dem Hund in der Nähe der Küchentür ein Bett aus zwei Badetüchern und knipste das Licht aus. Er schaute sein Lager zweifelnd an und trottete zum Kühlschrank.
»Kommt nicht in Frage«, sagte ich, »es ist Zeit zum Schlafengehen.«
Ich ging zum Schlafzimmer. Er folgte mir, bis ich ihm die Tür vor der Nase zuschlug.
Sobald ich unter die Decke gekrochen war, hörte ich ihn an der Tür kratzen und stöhnen, dann Geräusche wie von einem alten Mann kurz vor dem Ersticken.
Ich sprang aus dem Bett und öffnete die Tür. Die Dogge fegte mir durch die Beine und warf sich aufs Bett.
»Auf keinen Fall«, sagte ich und schob ihn hinunter, mit dem Ergebnis, dass er wieder zu röcheln begann und versuchte, aufs Bett zu klettern. Er versuchte es noch dreimal, bevor er aufgab, mir den Rücken zuwandte und es sich neben dem Bett auf dem Teppich bequem machte.
Das schien ein annehmbarer Kompromiss zu sein, doch als ich mitten in der Nacht aufwachte, um über Schmerzensschreie und Robotergesänge zu grübeln, lag er neben mir und schaute mich mit seinen mitleidsvollen sanften Augen an. Ich ließ ihn, wo er war, und wenig später hörte ich ihn wieder schnarchen, was mir beim Einschlafen half.
4
Am nächsten Morgen erwachte ich mit einem sauren, metallischen Geschmack im Mund, wie so oft nach schlechten Träumen. Ich fütterte den Hund und versuchte noch einmal, die Familie Rodriguez zu erreichen. Wieder hob niemand ab, doch diesmal war ein Anrufbeantworter eingeschaltet, auf dem ich meine Bitte um Rückruf hinterließ. Als ich fertig war mit Duschen und Rasieren, hatte sich weder Evelyn noch sonst jemand gemeldet.
Ich musste unbedingt raus. Ich legte meinem Freund einen großen Hundekuchen hin und machte mich zu Fuß auf den Weg zur Universität. Die Datenbanken der Bibliothek brachten keinen Hinweis auf »böse Liebe« hervor, weder im medizinischen noch im psychologischen Bereich. Mittags war ich wieder zu Hause.
Als ich meine alten Akten in den Schrank zurückstellte, bemerkte ich auf einem Regal einen einzelnen Karton, den ich übersehen haben musste. Ich nahm ihn herunter und schaute nach, ob er weitere Akten enthielt.
Der Karton war vollgestopft mit Tabellen und Vorabdrucken, die ich einmal als Referenzen benutzt hatte. Patientenberichte waren keine darunter. Zwischen zwei Ordnern war eine mit einem Gummiband zusammengehaltene Rolle eingeklemmt. Ich zog sie heraus, wickelte sie auseinander und atmete eine Ladung Staub ein.
Es waren eigene Artikel und Programme von wissenschaftlichen Konferenzen, auf denen ich gesprochen hatte. Ich blätterte den Stapel flüchtig durch, bis ich auf einen steifen blauen Bogen mit fetten schwarzen Buchstaben stieß:
GUTE LIEBE / BÖSE LIEBE
Perspektiven und Strategien der Psychoanalyse in einer
sich verändernden Welt
28.-29. November 1979
Western Pediatric Medical Center
Los Angeles, Kalifornien
Eine Konferenz über Bedeutung und Anwendung
der De-Bosch-Theorie
im sozialen und psycho-biologischen Kontext
Zu Ehren von 50 Jahren Lehre, Forschung und klinischer
Tätigkeit unseres verehrten Kollegen
DR. PHIL. ANDRES B. DE BOSCH
Veranstalter:
WPMC
und das
De-Bosch-Forschungsinstitut und -Erziehungsheim
Santa Barbara, Kalifornien
Vorsitz:
Dr. phil. Katharina V. de Bosch
Psychoanalytikerin und Geschäftsführerin
De-Bosch-Forschungsinstitut und -Erziehungsheim
Dr. phil. Alexander Delaware
Assistenzprofessor für Kindermedizin und Psychologie
WPMC
Dr. med. Harvey M. Rosenblatt
Psychoanalytiker und Professor für Klinische Psychiatrie
Medizinische Fakultät, Universität von New York
Darunter Fotos von uns. Katharina de Bosch, dünn und tief nachdenklich. Rosenblatt und ich, bärtig, professoral.
Daneben bestand das Papier aus einer Rednerliste, weiteren Fotos und Informationen für interessierte Teilnehmer.
Gute Liebe/Böse Liebe. Ich erinnerte mich jetzt deutlich und fragte mich, wie ich es je vergessen konnte. 1979 war mein viertes Jahr am Western Ped gewesen, eine Zeit langer Tage und noch längerer Nächte auf der Krebsstation und in der Abteilung für Erbkrankheiten. Tröstung für sterbende
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