Böse Liebe - Ein Alex-Delaware-Roman 8
war.«
»Mein Gott, und jetzt ist er verschwunden...«
»Das muss nichts heißen, Jean. Es sind alles nur Vermutungen, solange wir Gritz nicht finden und ihn selbst fragen können. Er hat nie zu Ihren Patienten gehört?«
»Nicht, dass ich wüsste; ich müsste die Listen durchgehen... ›Böse Liebe... Meinen Sie, Hewitt hat sie umgebracht, weil sie ihn zurückwies?«
»Könnte sein. - Der Begriff ›böse Liebe taucht übrigens in der psychologischen Literatur auf. Er stammt von einem Analytiker namens Andres de Bosch.«
Sie schaute mich an und nickte langsam mit dem Kopf. »Ich glaube, ich habe von ihm gehört.«
»De Bosch beschrieb damit bestimmte krasse Fehler in der Kindererziehung - wenn Eltern das Vertrauen eines Kindes enttäuschen; wenn Vertrauen erst aufgebaut und dann zerstört wird. Nach seiner Theorie kann das in extremen Fällen zu Gewalt führen. Wenn Sie sich die Beziehung zwischen Therapeut und Patient als eine Art Mutter-Kind-Beziehung vorstellen, dann wäre dieselbe Theorie auch für fehlgeschlagene Übertragungsprozesse gültig. Hewitt könnte den Ausdruck irgendwo gehört haben - wahrscheinlich von einem anderen Therapeuten, vielleicht auch von Gritz. Als er sich von Rebecca zurückgestoßen fühlte, reagierte er wie ein enttäuschtes Kind - und dann wurde er gewalttätig.«
»Ein enttäuschtes Kind? Wollen Sie sagen, der Mord war eine Art kindlicher Wutanfall?«
»Ja, extrem verstärkt durch Hewitts Wahnvorstellungen und dadurch, dass er seine Medikation abgesetzt hatte. Wer weiß, vielleicht hatte Gritz ihn dazu überredet, keine Pillen mehr zu nehmen.«
»Gritz«, fragte sie, »wie schreibt sich das?«
Ich buchstabierte es. »Es wäre wirklich nützlich, wenn Sie uns sagen könnten, ob er zu Ihren Patienten gehörte.«
»Ich werde gleich morgen früh die Listen durchgehen. Wenn nötig, räume ich den ganzen Lagerraum aus. Wenn ich etwas finde, rufe ich Sie sofort an. Es geht schließlich um unsere eigene Sicherheit.«
»Ich bin morgen nicht in der Stadt, aber Sie können eine Nachricht hinterlassen.«
»Sind Sie den ganzen Tag weg?«
»Ja. Ich fahre nach Santa Barbara. De Bosch hatte dort eine Klinik und ein Erziehungsheim. Ich will versuchen herauszufinden, ob Hewitt oder Gritz jemals dort waren.«
»Ich werde Sie auf jeden Fall anrufen, wenn ich etwas finde. Werden Sie mich auf dem Laufenden halten?«
»Sicher.«
Sie schaute wieder auf ihren Salat. »Ich kann jetzt nichts essen.«
Ich winkte dem Kellner und bat um die Rechnung.
»Nein, ich habe Sie eingeladen.« Sie versuchte mir die Rechnung abzunehmen, doch sie war nicht sehr hartnäckig, und am Ende bezahlte ich.
20
Montags um neun Uhr früh machte ich mich auf den Weg zu Wilbert Harrison. Er wohnte am Stadtrand von Ojai, einem schläfrigen Nest mit nur einer Verkehrsampel. Sein Haus war eines der letzten Häuser, bevor die Siedlung in offene Landschaft überging.
Es war ein kleines Holzhaus mit Schindeldach, angemalt in einem eigenartigen Rotviolett, fast vollkommen hinter wuchernden Agaven versteckt. Am Ende einer steilen Zufahrt, vor einer einzelnen Garage, war ein Chevrolet-Kombi geparkt. Vier Steinstufen bis zum Haus. Der Fliegenschutz war geschlossen, doch die Holztür dahinter stand offen.
Ich klopfte an den Türrahmen und spähte durch das Drahtgitter in ein kleines, düsteres Wohnzimmer: Holzboden, vollgestopft mit alten Möbeln, Läufern, Kissen und einem Wandklavier. Auf der Rückseite war ein kleiner Erker, die Fensterbank voller verstaubter Flaschen.
Aus einem anderen Zimmer kam Kammermusik.
Ich klopfte lauter.
»Moment!«
Die Musik wurde abgeschaltet. Von rechts kam ein Mann in das Wohnzimmer.
Er war klein und feist, wie auf dem alten Foto im Programmheft, und weißhaarig. Er trug einen Trainingsanzug in demselben Rotviolett wie das Haus und einige seiner Möbel.
Er öffnete den Drahtverschlag und schaute mich an, neugierig, aber nicht unfreundlich.
»Dr. Harrison?«
»Ja, ich bin Bert Harrison.« Ein klangvoller Bariton. Er hatte Sommersprossen und rotblonde Flecken in seinem Haar. Am kleinen Finger trug er einen Ring mit einem roten, ungeschliffenen Halbedelstein, dazu eine Fliege mit Lederbändeln, die ebenfalls von einem unförmigen, leuchtend roten Klunker zusammengehalten wurde.
»Mein Name ist Alex Delaware. Ich bin klinischer Psychologe in Los Angeles. Ich würde mich gern mit Ihnen unterhalten, über Andres de Bosch. Andres de Bosch und ›böse Liebe.«
Er zuckte nicht gerade
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