Böse Liebe - Ein Alex-Delaware-Roman 8
finden. Meine Sekretärin sagte mir dann, Rebeccas Patientenberichte wären auf die anderen Sachbearbeiter verteilt worden; die abgeschlossenen Fälle könnten in unserem Lagerraum gelandet sein. Wir nahmen uns zwei Stunden Zeit am Freitag und stöberten herum, bis wir tatsächlich in einer Ecke einen Karton fanden mit ihren Initialen, RB, voller Gerümpel aus ihrem Schreibtisch: Stifte, Heftklammern und so weiter, und diesen Umschlag.«
Ihre Hand zitterte, als sie mir die Papiere gab. Der Umschlag enthielt drei quer linierte, zerknautschte Patientenbogen mit getippten Bemerkungen, die erste Eintragung von vor sechs Monaten:
Heute DH gesehen. Hört immer noch Stimmen, aber Medikation scheint zu wirken. Straßenleben bereitet ihm Stress. Kam mit G. Auch gestresst. - RB.
Drei Wochen später:
D geht es viel besser. Nur wegen der Tabletten oder wegen mir? Haha. Vielleicht gibt es Hoffnung? - RB.
Dann:
D zeigt immer mehr Gefühle. Redet viel. Sehr gut! Therapieerfolg! Aber Vorsicht. - RB.
D klingt vernünftig - gekämmt, sauber, aber immer noch Verspätung. Redet über Kindheit etc. Etwas Berührung, aber im Rahmen. G wartet. Feindselig? Eifersüchtig? Aufpassen. - RB. D ein anderer Mensch. Offen. Geschwätzig. Zärtlich. Verspätung. Kontakt. Angemessen? Grenzen setzen? Mit JJ reden? Die Sache wert? Ja! - RB.
D verspätet, aber nur 15 Min. Nervös. Stimmen? Sagt nein; Stress, Alkohol - Saufen mit G. Reden über G, Beziehung zwischen D und G. Nervös, abwehrend, aber noch offen. Mehr Berührung, aber o.k., lockert ihn. - RB.
D sieht glücklich aus. Sehr gesprächig, kein Zorn, keine Stimmen. G nicht dabei. Konflikt zwischen D und G? Kontakt, versucht mich zu küssen, nicht feindselig, als ich Nein sage. Gut! Normales Verhalten! Endlich! - RB.
Die letzte Notiz stammte von drei Wochen vor ihrem Tod:
D zu früh - positiv? Ja! G wartet im Flur. Eindeutig feindselig. Beziehung D-G unter Druck? Wegen mir? Ds Besserung Belastung für G? Mehr Kontakt. Kuss, aber kurz. Viel Zärtlichkeit. Reden darüber, über Grenzen, Beschränkungen etc. D ein wenig niedergeschlagen, aber wird damit fertig. - RB.
Ich legte die Blätter auf den Tisch und sagte nichts. Ich ließ sie den Anfang machen.
»Stellen Sie sich das vor! ›Kontakt! - Hewitt kam ihr immer näher, am Ende ließ sie sich gar von ihm küssen!« Sie schüttelte sich. »Sie muss vollkommen die Kontrolle verloren haben, und ich hatte keine Ahnung. Sie hat mir nie davon erzählt.«
»Offenbar hat sie überlegt, ob sie mit Ihnen reden sollte. Da war die Notiz ›mit JJ reden.«
»Aber sie hat es nie getan. Sehen Sie doch, wie das Protokoll danach weitergeht.«
Ich las laut: »›Die Sache wert? Ja! Hört sich an, als sei sie zu dem Schluss gekommen, dass sie ihm damit half-typische Anfängereuphorie.«
»Sie war so naiv! Ich hätte sie besser im Auge behalten sollen. Vielleicht hätte ich es verhindern können.« Sie schob seufzend ihren Salat beiseite und stützte den Kopf auf die Hände.
»Hewitt war ein Psychopath, Jean. Keiner weiß, was ihn am Ende zum Explodieren brachte.«
Sie schaute mich an. »Dass sie sich küssen ließ, hat bestimmt nicht geholfen! Sie redet davon, Grenzen zu ziehen, aber er sah es wahrscheinlich als Zurückweisung bei seiner Paranoia.«
Ihre Stimme war lauter geworden. Ein Mann am Nachbartisch schaute von seinem Cappuccino auf. Jean lächelte ihm zu, nahm ihre Serviette und wischte sich den Mund ab.
Ich las die Notizen noch einmal durch.
»Ich brauche sie zurück«, sagte sie, nachdem ich zwei Minuten gelesen hatte.
Ich gab ihr die Papiere, und sie steckte sie in ihre Tasche zurück.
»Was haben Sie damit vor?«, fragte ich.
»Vernichten. Können Sie sich vorstellen, was die Medien daraus machen würden? Sie würden Rebecca die Schuld geben und sie in den Schmutz ziehen. Sie würden sie ein zweites Mal zum Opfer machen. - Bitte, Alex, behalten Sie es für sich, auch wenn Sie meinen, es ginge mir nur darum, dass nicht herauskommt, wie ich als Vorgesetzte versagt habe.«
»Ich finde es bewundernswert, dass Sie mir die Unterlagen überhaupt gezeigt haben. Sehr mutig.«
»Mutig?« Sie lachte. »Dumm, meinen Sie; aber irgendwie vertraue ich Ihnen, ich weiß nicht, warum. Wahrscheinlich musste ich es einfach loswerden. -Wie konnte sie es nur zulassen? Sie schreibt, er hätte versucht, sie zu berühren und zu küssen, aber ist zwischen den Zeilen nicht eindeutig zu erkennen, dass sie etwas für ihn zu empfinden begann?
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