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Böse Liebe - Ein Alex-Delaware-Roman 8

Titel: Böse Liebe - Ein Alex-Delaware-Roman 8 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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würde mitlachen. Es passierte mehrmals. Ich hatte fast den Eindruck, er wollte mich provozieren, aber ich reagierte nicht. Er war mein Lehrer, und ich kuschte.«
    Er drehte sich um und ließ sich auf seinen Stuhl sinken. Er erschien mir noch kleiner als vorher.
    »Und was hat Katharina gesagt?«
    »Sie hat gelacht. Ich war schockiert. Ich bin weiß Gott kein Engel. Wie oft habe ich so getan, als würde ich einem Patienten zuhören, wenn ich mit den Gedanken ganz woanders war und mir die armen Teufel völlig gleichgültig waren. Ich war fünfmal verheiratet, nie länger als zwei Jahre, bevor ich endlich begriff, dass ich aufhören sollte, Frauen unglücklich zu machen, und mich fürs Alleinleben entschied. Ich habe viel Schaden angerichtet, kein Grund also, mich aufs hohe Ross zu setzen. Aber eins war ich immer: tolerant. Vielleicht hat es damit zu tun, dass ich mit allen möglichen Defekten und Wehwehchen geboren wurde. Die Farbenblindheit ist nicht das Einzige.«
    Er schaute weg und schien zu überlegen, von welcher seiner Behinderungen er zuerst erzählen sollte. Dann zeigte er mit einem seiner kurzen Finger auf seinen Mund und sagte: »Ich bin vollkommen zahnlos, schon immer gewesen. Mein rechter Fuß hat nur drei Zehen, mein linker ist ein Klumpfuß. Ich bin zeugungsunfähig, und eine meiner Nieren versagte, als ich drei war. Den größten Teil meiner Kindheit verbrachte ich im Bett, mit schlimmen Hautausschlägen und einem Loch in der Herzscheidewand. Sie können mir also glauben, dass ich ein bisschen empfindlich bin, wenn es um Diskriminierung geht. - Und trotzdem hielt ich meinen Mund. Am Ende ging ich einfach weg.«
    »Kam de Boschs Intoleranz auch auf andere Weise zum Vorschein?«
    »Nein, das war ja das Seltsame. Im Allgemeinen war er sehr liberal, besonders in der Öffentlichkeit. Er nahm Patienten aus benachteiligten Gruppen auf, meist Wohlfahrtsfälle, und schien sie wie alle anderen zu behandeln. Und in seinen Schriften war er ein Vorbild an Toleranz. Haben Sie seinen Aufsatz über die Nazis gelesen?«
    »Nein.«
    »Einfach vorbildlich. Er schrieb ihn in seiner Zeit bei der Résistance. Das war es, was mich an ihm anzog, als ich für ihn arbeitete: die Verbindung von sozialem Gewissen und Psychoanalyse. Zu viele Analytiker leben im Elfenbeinturm. Ihre Praxis ist für sie das Universum; auf der Couch immer nur reiche Leute, und die Sommer verbringt man in Wien. Das war mir zu wenig.«
    »Haben Sie deshalb Ethnologie studiert?«
    »Ich wollte etwas über andere Kulturen lernen, und Andres unterstützte mich dabei. Er meinte, es würde mich zu einem besseren Therapeuten machen. Er war ein großartiger Mentor, und ich war schockiert, als ich ihn so über die Arbeiter herziehen hörte. Es war für mich, wie wenn man den Glauben an den eigenen Vater verliert. Für eine Weile ertrug ich es schweigend, doch am Ende musste ich kündigen und die Stadt verlassen.«
    »Sie zogen nach Beverly Hills?«
    »Zuerst legte ich ein Jahr Forschung in Chile ein. Erst dann gab ich mich geschlagen und zog mich in meine eigene kleine Welt zurück, in meinen eigenen Elfenbeinturm.«
    »Haben Sie ihm erzählt, warum Sie weggingen?«
    »Nein. Ich sagte nur, ich wäre nicht glücklich, und er verstand.« Er schüttelte den Kopf. »Er war ein Furcht einflößender Mann, und ich war ein Feigling. Nach meiner Rückkehr aus Chile rief er mich noch einmal an, ein frostiges Gespräch, und das war’s dann.«
    »Aber Katharina wollte Sie trotzdem auf dem Symposium dabeihaben.«
    »Weil ich zu seiner Vergangenheit gehörte, zu seinen ruhmreichen Jahren. Zur Zeit der Konferenz hat er nur noch dahinvegetiert. Sie wollte ihn von den Toten auferwecken. Sie zeigte mir Bilder von ihm im Rollstuhl. ›Du hast ihn schon einmal im Stich gelassen, Bert. Diesmal nicht.‹«
    Er senkte den Kopf.
    »Ich sehe zwar keine offensichtliche Verbindung«, sagte ich, »aber Rodney Shipler, das eine Mordopfer, war schwarz. Vor seinem Tod war er Hausmeister bei der Schulbehörde in Los Angeles. Können Sie sich vielleicht an ihn erinnern?«
    »Nein, der Name sagt mir gar nichts.« Er schaute mich an, voller Unruhe - oder voller Schuldbewusstsein?
    »Was beschäftigt Sie, Bert? Irgendetwas schwirrt Ihnen im Kopf herum. Ich sehe es Ihnen an.«
    Er seufzte. »Mir fiel etwas ein, als Sie von diesem Mr. Silk erzählten; wahrscheinlich ist es unwichtig.«
    »Hat es mit Lerner zu tun?«
    »Nein, nein, mit einem Vorfall kurz nach dem Symposium. Jemand rief mich im

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