Boese Maedchen sterben nicht
Er hielt sie schützend umschlossen und der Anblick machte mich ganz fertig.
»Ich … ich hab meinen Körper gefunden«, flüsterte ich und blickte weiter auf unsere Hände, die auf unseren aneinandergeschmiegten Knien lagen. »Als ich auf dem Polizeirevier war. Ich war so kurz davor, fast hätte ich es geschafft, ganz hineinzuschlüpfen und wieder ich zu werden, aber dann ist Barnabas gekommen und ich hab ihn wieder verloren.«
»Deinen Körper?«, fragte Josh und warf einen Blick Richtung Flur. »Madison, das ist ja toll!«, fügte er dann etwas leiser hinzu. »Warum weinst du denn dann? Wenn du ihn einmal gefunden hast, findest du ihn bestimmt wieder. Du kannst wieder komplett lebendig sein! Das ist doch super!«
»Ist es nicht«, sagte ich traurig. »Kein anderer hat sich mit mir darüber gefreut. Sie wollen alle, dass ich die schwarze Zeitwächterin bleibe. Und ich weiß einfach nicht, warum! Ich bin noch nicht mal gut in dem Job. Barnabas denkt, dass ich was ändern kann, aber der war ja auch mal ein weißer Todesengel. Und Nakita hält meine Mühen bloß für Zeitverschwendung. Und jetzt sind die Seraphim sauer auf mich. Sie glauben, dass ich das Ganze nicht ernst nehme oder dass ich nicht weiß, was dabei auf dem Spiel steht.« Unglücklich wischte ich mir über die Augen und schniefte geräuschvoll.
»Ich freue mich«, sagte Josh und beugte sich ein Stück zu mir vor.
Daraufhin stieß ich einen Schluchzer aus, der eher einem Bellen glich, senkte den Kopf und ließ seine Hände los, um mir das Gesicht abzuwischen. »Ich hab es einfach satt«, erklärte ich dann und fühlte Schmerz in mir aufwallen, als ich es endlich laut aussprach. »Ich hab es satt, meinen Dad anlügen zu müssen. Und dass mich keiner versteht. Und dass ich nicht essen und schlafen kann. Ich will einfach nur nach Hause kommen können und ganz normal sein!«
Durch den Tränenschleier vor meinen Augen blickte ich ihn an und sah in seinem Gesicht Mitgefühl, aber nicht unbedingt Verständnis. »Aber«, begann er, doch ich schüttelte den Kopf und schnitt ihm das Wort ab.
»Nakita ist unglücklich, weil sie Angst hat, dass ich einfach so gehe und sie vergesse. Barnabas ist enttäuscht, weil ich etwas aufgeben will, an das er Tausende von Jahren geglaubt hat, aber bis heute zu viel Angst hatte, es selbst zu versuchen. So langsam kriege ich sogar ein paar Sachen auf die Reihe, aber irgendwie macht das alles nur noch schlimmer und nicht leichter. Ich hab heute Tammys Aura geändert«, sagte ich ohne die geringste Freude. „Ich hab die Zeit angehalten, Josh ! Und es ist mir total egal.«
»Nein, ist es nicht«, widersprach er und ich schüttelte den Kopf, aber wenigstens hatte ich aufgehört zu weinen.
»Zum allerersten Mal«, fuhr ich fort, »zum allerersten Mal hab ich das Gefühl, dass ich etwas bewirken kann, aber die Seraphim geben mir einfach keine Chance. Ich wäre bestimmt gar keine so schlechte Zeitwächterin, wenn sie mich einfach nur mal machen ließen!«
Mit einem Mal wurde mir bewusst, wie nah wir uns waren. Er hatte wieder meine Hände ergriffen und seine Knie fühlten sich warm an meinen an. Er hörte mir zu und das brachte mich fast schon wieder zum Heulen. »Es fehlt mir, mit meinem Dad zusammen zu essen«, flüsterte ich. »Und es fehlt mir, morgens aufzuwachen, die Sonnenstrahlen an der Wand zu sehen und mich zu fragen, was der Tag wohl bringen wird.«
Ich blinzelte und wieder tropfte mir eine Träne aus dem Augenwinkel. Josh wischte sie weg und seine Hand war feucht, als er wieder nach meiner griff.
»Es fehlt mir, einfach normal zu sein«, hauchte ich und fühlte mich hohl, als mir plötzlich Paul, der weiße Zeitwächterlehrling, einfiel, der neben seinem Himmelsjob immer noch ein normales Teenager-Dasein führte. Gut, der hatte mit Ron als Lehrer auch nicht gerade das große Los gezogen, aber immerhin hatte er einen. Und ein Leben und wahrscheinlich sogar eine Freundin, die keine Ahnung davon hatte, dass er eines Tages ein verdammter Zeitwächter sein und eine Horde weißer Engel befehligen würde. Er konnte einfach so tun, als wäre er genau wie alle anderen auch. »Die meisten Zeitwächter können ihr ganzes Leben leben, bevor ihr Vorgänger stirbt und sie alles stehen und liegen lassen und mehr als ein normaler Mensch sein müssen. Aber ich verpasse einfach alles!«
Okay, vielleicht spielte ich hier ein bisschen zu sehr die Dramaqueen, aber Josh war nun mal die einzige Person, der ich das alles erzählen
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