Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Böse Schafe: Roman (German Edition)

Böse Schafe: Roman (German Edition)

Titel: Böse Schafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Lange-Müller
Vom Netzwerk:
auch mit mir zu Ende ist?
    Rolf grabschte nach meiner Umhängetasche, die genaugenommen ein unförmiger, fleckiger, einstmals gelber Lederbeutel war, entleerte deren Inhalt auf den Tisch, schnappte sich das Portemonnaie, in dem er meinen Ausweis vermutete – oder sonst ein Papier, das einen Hinweis auf meine Identität enthielt –, fand jedoch nichts als meine letzten drei Groschen und ein am Vortag entwertetes S-Bahn-Ticket. Er krempelte meinen Beutel ganz um, Flusen und ein paar Kiefernnadeln rieselten herab aus dessen löchrigem Taftfutter. »Hast du Taschen im Rock und in denen irgend etwas, womit du dich legitimieren kannst«, fragte Rolf.
    Obwohl ich mir der Gefahr, die sich da zusammenbraute, durchaus bewußt war, verlor ich für einen Moment die Kontrolle. Vielleicht lag es an den Schnäpsen, die ich so schnell gekippt hatte, jedenfalls kicherte ich, ließ den Zeigefinger meiner dreckigen Linken über dem Tisch kreisen und erwiderte: Aber sicher, guck mal da, den Fahrausweis. So nennt ihr die Dinger doch, oder?
    Das war zuviel – für den Mann namens Rolf und die anderen vier, denn sie schwiegen – lange, bis einer sich wegdrehte zu dem kleinen Eckregal, auf dem, wie ich erst jetzt bemerkte, ein graues Telefon stand. Rolf ergriff den Hörer, wiegte ihn in der Hand wie eine Keule, räusperte sich und sagte beinahe tonlos: »Es reicht. Name, Adresse, Alter?«
    Entschuldigung, war ja gar nicht frech gemeint, jammerte ich. Soja, der Name, Soja Edith Krüger, wohnhaft Karl-Marx-Allee 112, sechzehn seit März dieses Jahres, Schülerin der Klasse 10 b der Polytechnischen Carl-von-Ossietzky-Oberschule.
    »Nee, nee«, sagte der etwas Jüngere, der mich hochgezogen hatte, »uns nimmst du nicht mehr auf den Arm. Rolf, drehst du mal eben die Nummer der Meldestelle Mitte … Ach Quatsch«, unterbrach er sich, »is ja nochzu früh fürs Amt. Ich bringe unser Früchtchen lieber gleich auf die hiesige Wache. Wer kommt mit?«
    Nur einer, vermutlich der Dienststellenleiter, gab zu erkennen, daß er bleiben müßte. Rolf legte mir seine Hand in den Nacken; ich wußte, weder Tränen noch Dreistigkeit würden mir jetzt weiterhelfen, und mir kam, wie wohl manchem bedrängten Menschen, die Mutter in den Sinn, meine Mutter, zu der ich schon damals und eigentlich von Anfang an ein schwieriges Verhältnis hatte. Sie hielt mich für mißraten, ich sie für herzlos, ein Arbeitstier, das, wenn es wollte, tolle Klamotten nähen konnte – und auf dem Schifferklavier Kampflieder spielen, was ich äußerst peinlich fand. Noch peinlicher war mir der politische Ehrgeiz, der sie jeden Tag ein bißchen mehr aufblähte; und einmal, als sie nachts vor dem Kühlschrank hockte und in eine Salami biß, schlich ich mich hinterrücks ganz nah an sie heran, erschreckte sie mit den Worten: Bald wirst du platzen – vor Stolz. Unbeirrbar, wie einst am See jene Trauerweide, stieg sie die Karriereleiter hoch. Aus der drallen FDJlerin mit der tiefen, im sächsischen Tonfall die banalsten Torheiten verkündenden Stimme war eine Parteifunktionärin geworden, und daran, was aus der werden konnte, werden würde, wenn alles den üblichen sozialistischen Gang ging, mochte ich gar nicht erst denken, weil es mir Angst machte; allerdings nur um meinetwillen, denn ich war, es ließ sich nicht leugnen, Fleisch vom Fleische dieser Frau. Kurz, ich schämte mich – vor ihr und für sie.
    Ich wußte, ich hatte, um das Schlimmste zu verhindern, kaum mehr einen Moment Zeit, und obgleich oder weil das so war, zischte aus dem schwarzen Nichts zwischen den spärlichen Glühpünktchen in meinem Schädel plötzlich wie ein Komet ein Satz hervor und schon Richtung Zunge nieder, ein Satz, den ich einmal geträumt hatte und von dem ich aufgewacht war, denn ich hatte ihn wohl für eine echte Erleuchtung, ja, für die Lösung eines auch nur geträumten, mir aber unwiederbringlich entglittenen Problems gehalten: Ruft meine Mutter, daß sie mir hilft, und schlagt sie dann tot. Doch nicht dieser Satz kam mir über die Lippen, statt dessen sagte ich: Nun ratet mal, wer meine Mutter ist. Alma Krüger heißt die. Genossin Krüger, zweiter Sekretär der Bezirksparteileitung Berlin, falls hier einer ne Eselsbrücke braucht. Und jetzt Pfoten weg, oder ihr kriegt den Ärger.
    Rolfs Griff lockerte sich, als habe man mit einem Betäubungsgewehr auf ihn geschossen. Seine Hand wurde leichenschwer und glitt von meinem Nacken ab und mir noch ein kleines Stück den Rücken runter. Dann war der

Weitere Kostenlose Bücher