Böser Engel
gelungen, die Grenze zwischen den Welten zu überwinden?«, wollte ich wissen.
»Technisch gesehen haben wir eure Welt nicht ganz betreten, sondern …«
»Beantworte die Frage«, befahl ich ihm.
»Der Hass der Stadtbewohner hat die Grenze zwischen den Welten geschwächt«, sagte Fon Pyre. »Dadurch kommen wir euch näher. Im Moment können wir nur den Verstand der Menschen lenken und sie dazu bringen, das zu tun, was wir wollen. Sollte der Hass jedoch weiter wachsen …« Er hielt inne. Vermutlich merkte er, dass er bereits zu viel verraten hatte.
»Was«, fragte ich, »wird passieren, wenn der Hass weiter wächst?«
»Dann können wir in eure Welt hinüberwechseln«, antwortete Fon Pyre. »Und zwar mit Haut und Haaren.«
Ein eisiger Schauer lief mir über den Rücken. »Wie weit sind wir davon entfernt?«, hakte ich nach. Wenn Dämonen unsere Welt betreten konnten, ohne dass sie gerufen wurden … Das Wort »Apokalypse« kam mir in den Sinn.
»Bedauerlicherweise noch ziemlich weit«, erklärte Fon Pyre. »Der Hass einer einzigen Stadt reicht da leider nicht aus.«
»Endlich mal eine gute Nachricht«, meinte Jane.
Ich musterte das Gesicht des Dämons. Er verheimlichte mir etwas. Sonst hätten seine Mundwinkel nicht so gezuckt, als Jane gesprochen hatte.
»Kommt noch mehr Hass?«, fragte ich.
»Ja«, antwortete Fon Pyre.
»Wann?«
»Freitag.«
»Was passiert denn am Freitag?«, wollte Chester wissen.
»Das Treffen mit der Jugendgruppe aus Wernsbridge«, entgegnete Jane. »Etwas anderes fällt mir nicht ein.«
»Das ist es!«, rief ich. »Chester, du warst doch dabei, als Father Reedy über seinen Bruder geredet hat. In Wernsbridge gibt es auch einen gefallenen Engel. Den werden sie mitbringen – und damit mindestens noch mal so viel Hass.«
»Und wenn sie erst mal hier sind und sich der Hass beider Gruppen vermischt«, sagte Jane düster, »dann gibt’s …«
»… eine echte Party!«, fiel Fon Pyre ihr jubelnd ins Wort.
»Halt die Schnauze«, ranzte Chester ihn an und verpasste einem kleinen Gegenstand einen Tritt, der daraufhin durch die Luft segelte. Erst viel später fand ich heraus, dass es sich um einen alten Kaffeebecher handelte. In diesem Moment zählte allerdings nur, dass er geradewegs in Richtung Dämonendreieck flog.
»Nein!«, schrie ich und machte einen Satz nach vorne. Gleichzeitig war mir klar, dass es bereits zu spät war. Der Becher landete im Innern des Dreiecks direkt neben Fon Pyre. Der Zauberbann, der den Dämon bis dahin in Schach gehalten hatte, war damit gebrochen.
»Freiheit!«, rief Fon Pyre mit einem dämonischen Lächeln auf den Lippen.
Und schon stürzte er sich auf mich.
Geistesgegenwärtig wich ich zur Seite. Fon Pyres scharfe Klauen verfehlten mich nur um Haaresbreite. Da mir nichts Besseres einfiel, begab ich mich auf alle viere in Käferposition und krabbelte weg. Mir war allerdings klar, dass ich das Unvermeidliche damit nur hinauszögerte.
Für den Fall, dass ein Dämon seinem magischen Käfig entfloh, waren sich alle mir bekannten okkulten Bücher einig. Das Fazit lautete: Gib auf und hoffe darauf, dass er dir ein schnelles Ende bereitet.
Ich hatte berechtigte Zweifel, dass die anderen mir eine große Hilfe wären. Jane stand vor Angst schlotternd in der Ecke, und Chester hastete in Richtung Treppe.
Währenddessen setzte Fon Pyre zu einem weiteren Sprung auf mich an. Trotz seiner geringen Größe war er ziemlich stark, und ich schlug auf dem Boden auf. Seine kleinen Hände schossen nach vorne, und er legte sie um meinen Hals, als wolle er mir das Genick brechen. Seine Haut war brennend heiß, versengte mir Wangen und T-Shirt. Ich ignorierte die Hitze, griff nach seinen Armen und versuchte, ihn wegzustoßen – ohne Erfolg. Er bewegte sich keinen Millimeter. Als ich mich daraufhin gegen seinen Körper stemmte, bohrten sich als Antwort die Klauen an seinen Füßen in meine Brust. Ich jaulte auf.
»Seit unserer ersten Begegnung habe ich darauf gewartet, habe mich regelrecht danach gesehnt«, zischte der Dämon. »Das hier werde ich bis zur letzten Sekunde auskosten, darauf kannst du dich verlassen.«
Einen schnellen schmerzlosen Tod konnte ich mir also getrost abschminken. Stück für Stück bewegte Fon Pyre seine Hände über meine Wangen weiter nach oben. Die sengende Hitze trieb mir die Tränen in die Augen. Als mir aufging, dass er mich blenden wollte, schrie ich so laut, wie ich konnte.
Just in dem Moment krachte
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