Böser Engel
helfen, ihn zu überzeugen.«
Wir blickten beide in Richtung Treppe. Keine Spur von Chester.
»Chester!«, rief ich.
»Du denkst doch nicht, dass er dumm genug ist, sich allein aus dem Staub zu machen, oder?«, meinte Jane.
»Ich schon«, mischte sich Fon Pyre ein.
»Na großartig«, stöhnte ich.
»Wir müssen ihn finden«, sagte Jane. »Wenn der Mob ihn in die Finger bekommt, war’s das.«
»Noch wahrscheinlicher ist«, schaltete Fon Pyre sich ein, »dass sie ihn vorher zwingen, euer Versteck zu verraten. Und danach schlagen sie ihm erst den Schädel ein.«
»Los, wir gehen ihn suchen«, schlug ich vor. »Fon Pyre …« Tja, was? Unsicher hielt ich inne. Am klügsten – am besten – erschien es mir, den Dämon zurückzulassen: Von hier aus konnte er niemandem Schaden zufügen. Es wäre ein Einfaches, ihm den Befehl zu erteilen, sich nicht von der Stelle zu rühren. Aber was, wenn er in meinen Worten irgendein Schlupfloch entdeckte, das er gnadenlos ausnutzte? Und selbst wenn ich ihm befahl, den Keller nicht zu verlassen, war das längst kein Garant dafür, dass er nicht doch Unheil anrichtete. Trotz meiner intensiven Lektüre über Dämonen hatte ich keine Ahnung, wie stark Fon Pyres Macht letzten Endes war. In Gedanken malte ich mir eine ganze Reihe von Möglichkeiten aus, allesamt ein wenig weit hergeholt, aber nichtsdestotrotz nicht komplett unrealistisch. Fon Pyre war durchaus zuzutrauen, dass er die Bodenplanken herausriss und sie mit dem Durchschlagsvermögen von Pistolenkugeln nach draußen auf die Straße feuerte. Was, wenn er ein Loch grub, auf ein Wasserrohr stieß und das Trinkwasser der Stadt vergiftete? Oder wenn er auf eine Leitung stieß und einen Stromausfall herbeiführte? Oder wenn der Strom ihm zusätzliche Kraft verlieh und er …
Okay, das war eher unwahrscheinlich. Aber wer konnte schon wissen, was ein Dämon sich so alles einfallen ließ – und wozu er fähig war? Egal, wie ich es drehte und wendete, ich konnte Fon Pyre unmöglich aus den Augen lassen.
»Ja, Meister?«, fragte der Dämon. »Wie kann ich euch dienen?«
»Sperr mal deine Ohren auf«, sagte ich. »Es wird Zeit für ein paar Grundregeln. Erstens befehle ich dir, niemanden zu töten oder zu verletzen. Zweitens wirst du immer in meiner Sichtweite bleiben.«
»Und was, wenn du blinzelst?«, wollte Fon Pyre wissen.
»Guter Einwurf«, erwiderte ich. »Hiermit befehle ich dir, dich zu keinem Zeitpunkt weiter als fünf Meter von mir zu entfernen. Verstanden?«
»Klar doch. Was immer du befiehlst, Boss!«, gab Fon Pyre zurück.
»Eins noch«, fügte ich hinzu. »Du wirst keinerlei Versuche machen, Kontakt zu den anderen Dämonen aufzunehmen. Ist das klar?«
»So klar wie Kloßbrühe«, antwortete Fon Pyre leicht säuerlich. Es war ihm deutlich anzusehen, dass er darauf gehofft hatte, ich würde diesen Punkt vergessen.
»Ausgezeichnet«, schloss ich. »Jetzt sollten wir aber los. Wir müssen Chester suchen – und ihn höchstwahrscheinlich retten.«
Iane und ich waren uns einig darüber, dass Chester vermutlich in der Kirche Zuflucht gesucht hatte. Father Reedys Haus stand nicht mehr, und zu seinen Eltern konnte er nicht. Genauso wenig wie zu meiner Familie. Außerdem würde er bestimmt einen Ort aufsuchen, an dem er sich in Sicherheit wähnte – schließlich war er ja davon überzeugt, von einem Dämon verfolgt zu werden. Wo sonst sollte er also hingegangen sein?
Aber wir hatten uns getäuscht. Jane und ich suchten jeden noch so kleinen Winkel der Kirche ab. Keine Spur von Chester.
Stattdessen stießen wir auf Ryan. Und Lucie. Und Tiffanys Ex-Freund Paul. Die drei lagen schlafend auf den Kirchenbänken.
»Lasst mich raten«, meinte Fon Pyre. »Noch mehr Do-it-yourself-Experten.«
»Still!«, zischte ich. »Runter mit deinem Kopf. Wir wollen ja nicht, dass sie gleich vollkommen ausflippen.«
Mit sämtlichen Krallen klammerte Fon Pyre sich hinten an meinem T-Shirt fest. Er konnte Kirchen nicht betreten, weil es sich dabei um geweihte Orte handelte. Deshalb hatte ich ihn kurzerhand huckepack genommen. Kein besonders angenehmer Umstand, zumal er um einiges schwerer war, als er aussah. Allerdings wollte ich ihn unter keinen Umständen aus den Augen lassen.
Murrend hielt Fon Pyre sich hinter meinem Rücken versteckt. Gut, dachte ich. Jetzt musste ich nur noch dafür sorgen, dass ich den anderen nicht den Rücken zukehrte. Zumindest so lange, bis ich ihnen erklärt hatte, dass
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