Böser Engel
per Kilo oder Unze verkauft – etwa 15 000 Dollar wert waren.
Ursprünglich hatten wir vereinbart, dass ich die Drogen und die Kunden besorgte, während Napa für den Verkauf und die Auslieferung zuständig sein sollte. Leider war Napa geschickter darin, mit seiner .22er den Rowdy zu spielen. Als er einmal Streit mit einigen guten Kunden anfing, nahm ich ihn mir zur Brust. »He, Mann, so macht man keine Geschäfte. Du kannst nicht rumlaufen und diese Leute überfallen. Sie sollen dich mögen. Behandle sie gut, und sie kommen wieder.«
Es nützte nichts. Charme gehörte nicht zu seinen Tugenden, also gingen die Kunden ihm aus dem Weg und kamen gleich zu mir. Für Napa blieben nur wenige Aufgaben übrig.
Etwa sechs Monate lang verschaffte mir die ständige Nachfrage nach Methamphetamin, Kokain und anderen Drogen ein ordentliches Zusatzeinkommen. Dann wechselte Moose zum Charter Oakland und handelte direkt mit Tiny. Obwohl ich nun kein Zwischenhändler mehr war, verkaufte ich weiter alles, was ich kriegen konnte. Ich hatte genug Speed für mich selbst und genug Geld, um die Ranch zu verschönern.
Napa und seine Frau Carol waren angenehme Gäste auf der Ranch. Sie lasen viel, legten Wert auf gesundes Essen und waren Amateurastrologen und -handleser. Carol war eine stämmige, burschikose Frau, die wie eine Kampflesbe aussah, aber weiblicher wurde, wenn sie Speed konsumiert hatte. Helen und sie verstanden sich gut, ja wurden Freundinnen.
Wenn Napa nicht mit seiner Frau herumalberte, fantasierte er mit mir. Meist ging es um verrückte Pläne. Wir sprachen sogar davon, einen Hubschrauber zu bauen, um die Ranch schneller zu erreichen. Ich war einer der wenigen Leute, die Napa ernst nahmen und sich alle seine Träumereien anhörten.
Napas Mutter hatte ihn aus einer Zeitkapsel aus dem 19. Jahrhundert gestohlen. Er sagte oft, er hätte lieber im Wilden Westen gelebt und an Überfällen teilgenommen, zum Beispiel an dem auf unsere Ranch vor hundert Jahren. Eines Abends in unserem Wohnmobil strich er sich über den dunklen, gepflegten Bart und sinnierte: »Wenn ich gehe, möchte ich jemanden mitnehmen. Je mehr, desto besser.«
»Warum?«, wandte Helen ein. »Das kapier ich nicht. Was hättest du davon?«
»Jeder sollte ’ne Kanone tragen wie im Wilden Westen«, sagte er. »Das wäre toll. Dann könntest du im Streit mit jemandem einfach sagen: ›Die schnellste Knarre gewinnt. Los, komm!‹ Wenn du etwas haben wolltest, könntest du es dir nehmen.«
»Nee, diese Jesse-James-Masche funktioniert nicht.«
Ich ergriff Partei für Napa, und wir piesackten Helen so lange, bis sie in Tränen ausbrach. Doch an einem anderen Abend erteilte ich Napa eine Lektion in seiner eigenen Philosophie. Er war mit Beruhigungsmitteln zugedröhnt, als er ankam. Wir waren bereits zu fünft: Helen und ich, mein Bruder mit einem Mädchen, das er abwechselnd besprang und mit Peyote abfüllte, sowie Sam, ein Freund der Familie, der ein wenig dealte.
Napa machte den Fehler, den Mistkerl zu spielen und mit seiner .22er herumzuspielen wie ein lautloser Revolverheld. Das brachte mich auf die Palme. Es kam zum Streit, und ich sprang ihn an und bearbeitete seinen Kopf und sein Gesicht mit einer Flinte. Mein Bruder Michael schlug sich auf meine Seite, obwohl ich ihm vor Kurzem bei einem Familienstreit das Bein gebrochen hatte. Wir prügelten Napa blutig, zertrümmerten seine falschen Zähne und jagten ihn dann mit Fußtritten in sein Auto.
Trotzdem blieben Napa und ich Busenfreunde, so wie J. B. und ich trotz einiger Kabbeleien Freunde blieben. In unseren Kreisen konnten Drogen oder unser durch den Club geprägtes Verhalten aus harmlosem Gemecker eine strafwürdige Beleidigung machen. Aber alte Freunde konnten einander ebenso gut vergeben.
Selbst Zorro war trotz unserer vielen Zusammenstöße auf der Ranch willkommen. Mehr als einmal erwogen Helen und ich, mit ihm zu brechen, aber ich schätzte seine Freundschaft. Zorro, der unverbesserliche Falschspieler, konnte genial und großzügig und ein amüsanter Gast sein.
Im Jahr 1972 besuchte er uns oft mit einer jungen Studentin namens Shirley, einer Frischluftfanatikerin mit einem fünfjährigen Sohn und einem kränklichen Mann. Manchmal begegneten wir uns in einer McDonalds-Filiale in Novato und vereinbarten, uns später auf der Ranch zu treffen. Zorro und seine Freundin schlugen am Telefonmast Nr. 144, nicht weit vom Oberlauf des Russian River entfernt, ihr Basislager auf. Dann fuhren sie zur Ranch,
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