Böser Engel
verpasste man mir einen Haarschnitt, dann führte mich etwa ein Dutzend mit Flinten bewaffneter Hilfssheriffs aus dem Gefängnis. Wir flogen mit einem Kleinflugzeug in den Bezirk Contra Costa, wo ich im Rahmen der Vorermittlungen bei einer Anhörung aussagen sollte. Es ging um vier Angels, darunter auch Zorro, und um die Morde an »Big Tom« und Charlie. Während ich auf meinen Aufruf wartete, streckte ich mich auf einer Pritsche aus. Dann schaute ich nach oben. Jemand hatte einen Totenkopf an die Wand gezeichnet und darunter den Namen »Bill Moran« geschrieben. Moran war ein Mitglied aus Richmond, das an den Morden beteiligt gewesen sein soll. Das Bild ging mir auf die Nerven, darum radierte ich es aus. Aus einem anderen Zellblock hörte ich den Ruf: »Spitzel!« An diesem feindseligen Ort wollte ich meiner Frau schreiben, doch die Wärter gaben mir keinen Bleistift. Also improvisierte ich mit roter Tinte aus Spucke und Zündholzköpfen und schrieb umständlich mit einem Streichholz:
»Ein Glück, dass es Zündhölzer gibt. Schatz, ich liebe dich und die Kinder und kann es kaum erwarten, mit dir aus dem Knast entlassen zu werden, wie es geplant ist. ... Alles Liebe von George, dem Zündholzkopf.«
Am nächsten Tag war ich in der Gemeinschaftsdusche, als mir ein Mithäftling zuflüsterte: »Eigentlich sollte ich dich gleich hier umbringen.«
Ich hatte damit gerechnet im Gefängnis bedroht zu werden. Darum erklärte ich kurz mein Dilemma – dass ich zwischen den Cops und dem Club gefangen war. Dann fügte ich beiläufig hinzu: »Tu, was dir Spaß macht, Mann.«
Der Typ sagte: »He, Mann, das hab ich nicht gewusst.« Er zeigte ein gewisses Mitgefühl, und später steckte er mir einen Bleistift zu, damit ich Briefe schreiben konnte.
»Schätzchen«, kritzelte ich, als die Wärter mich nicht beobachteten, »ich sollte heute vor Gericht erscheinen, aber der Staatsanwalt hatte Kehlkopfentzündung. Ich hoffe und bete, dass es ihm bald besser geht, damit ich vor Gericht aussagen und dann zu dir zurückkehren kann. ...«
Am folgenden Tag war der Staatsanwalt immer noch krank, darum brachte man mich fürs Wochenende nach Ukiah zurück. Am Montag, den 4. Dezember, nach meiner Aussage im Gerichtsgebäude, schrieb ich: 57
»Hallo, Baby. Es ist einfach, die Wahrheit zu sagen. Wir sind auf dem richtigen Weg. Ich fühle mich gut. Erst war ich ein bisschen nervös, aber ich habe gelernt, geduldig zu sein, und spielte das verdammte kleine Spiel der Anwälte mit. Ich wusste, dass ich die Wahrheit sagen würde. Was hätte ich sonst sagen sollen? Du musst dir nur Zeit für deine Antworten nehmen, damit du nichts Falsches sagst. Meine Aussage hat nur zwei Stunden gedauert. In der Mittagspause bat ich Rich [Staatsanwalt Richard Petersen] um zwei Cheeseburger, Pommes und eine kleine Cola. Ich wette, ich war einer der ersten Insassen eines Polizeiautos, die mit Handschellen einen Cheeseburger gegessen haben. ... Im Gericht habe ich etwas über dich herausgefunden. Du bist die Einzige für mich. Deine Feindin Judy war da – das einzige freundliche Gesicht im Publikum. Ich fand heraus, dass die erste Liebe toll ist, aber die letzte Liebe (du) bleibt. Ich liebe dich mit meinem ganzen Körper und meiner ganzen Seele. ...«
Nach einer kurzen Ehekrise wegen Judys Anwesenheit schrieb Helen am 7. Dezember:
»George, erinnerst du dich an das mexikanische Restaurant La Cueva in Foothill? Die Wärterin Ronnie sagte, sie kenne die Eigentümer. Die Angels hätten das Lokal verwüstet. Ich wurde rot und musste einfach lächeln. Sie sagte: ›Ihr wart nicht dabei, oder?‹ Ich berichtete, was meiner Meinung nach passiert war. Das hat mich umgehauen. Wie klein die Welt doch ist. ...«
»Hallo, Zuckerschnecke«, schrieb ich am 9. Dezember, »ich hab eben mit ein paar Leuten gesprochen, und sie haben die Kinder erwähnt. Schick ihnen doch einen Brief und sag ihnen, sie sollen mal wieder schreiben. Oder ich befehle ihnen zu schreiben. Diese Scheißerchen. Wir sind Weichlinge, aber – zum Teufel, Mama, ab und zu müssen wir sie übers Knie legen. Alles Liebe, George. ... PS: Wenn meine Schwester kommt, frag sie, ob sie mit dem Geld, das sie für das Auto bekommt, Weihnachtsgeschenke für die Kinder kaufen würde.«
»Ich bin wütend«, schrieb ich am nächsten Tag. »Rich [der Anwalt] sagte, jemand habe behauptet, ich sei Sonnys Killer gewesen. Und neulich abends fragte Hilfssheriff Tuso mich nach Zorros altem Boot und sagte, Tiny habe
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