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Böser Engel

Böser Engel

Titel: Böser Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Wethern
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bis die Wärter mich mit Knüppeln zurücktrieben. Dann zerrten sie mich mit den Füßen voran die Treppe hinauf, sodass mein Kopf auf jede Stufe knallte.
    Ich kam in eine andere Zelle und glaubte mich tot und begraben. Es war die Isolierzelle, das »Loch«. An der Decke verbreitete eine Glühbirne kaltes Licht. Alles andere war kahl.
    Dort drinnen war die Wirklichkeit etwas Fremdes. Nacht und Tag waren nicht zu unterscheiden, höchstens anhand des Essens, das jemand durch eine kleine Tür schob, kaum größer als das Loch im Fußboden. Mein Gehirn dröhnte wie ein Motor, aber ich lehnte Beruhigungsmittel ab, da ich sie für Gift hielt. Kleinigkeiten wurden zur Bedrohung. Ein Wärter öffnete die Tür, als ich gerade in das Loch urinierte. »Das wird dir nichts nützen«, sagte er höhnisch und knallte die Tür zu. Ich weiß nicht, was er meinte, aber seine spöttische Stimme hallte in meinem Kopf wie ein Echo wider. Ich sehnte mich nach einem freundlichen Wort, doch meine Wärter gaben sich anscheinend große Mühe, grausam zu sein. Ich hasste sie. Ich hasste jeden, der im Korridor, in der Freiheit vorbeiging. Ich guckte durchs Schlüsselloch und drückte auf einen imaginären Abzug. Geschosse durchschlugen die Gestalten. Peng. Peng. Peng. Eine nach der anderen krümmte sich nach vorne oder hinten.
    In meiner düsteren Fantasie betrog mich sogar meine Frau. Ich sah sie mit einem anderen Mann, einem gut aussehenden Typen, der mich verhöhnte: »Du bleibst da drin, aber ich bin hier draußen und habe meinen Spaß.« Wenn sie dann den Kopf zurückwarf, um hämisch zu lachen, versuchte ich, die beiden zu packen, prallte jedoch an der Betonwand ab.
    Ich stellte mir meine Kinder vor. Eine Betonplatte hing über ihnen, groß wie der Boden meiner Zelle. Als diese zu rutschen begann, eilte ich nach vorne, um sie zu retten. Meine Fingernägel gruben sich in den Stein, aber die Kinder wurden verschüttet. Ich stemmte mich mit dem Rücken gegen die Betonplatte, konnte sie aber nicht bewegen. Dann überwältigte mich ein furchtbarer Durst, und irgendwann gab ich meine Bemühungen auf und lief zum Waschbecken, verfolgt von den letzten Schreien meiner Kinder.
    Später rammte ich den Kopf und den Körper an die Wand, bis jeder Knochen und jedes Gelenk schmerzte. Der Tod schien mir der einzige Ausweg zu sein. Ich wollte, dass mich jemand verstümmelte, mich in kleine Stücke schnitt, da ich Angst hatte, dass meine Füße oder Zähne sonst jemanden attackieren würden.
    Aus monströser Aggression wurde kindliche Hilflosigkeit. Ich musste meinen Schmerz und meine Wut ausdrücken und meine eigene Existenz bestätigen. Weil ich sonst nichts hatte, betrachtete, beklopfte und formte ich meinen eigenen Kot. Ich roch daran und aß ein wenig davon. Ich malte damit an der Wand. Auf irgendeine seltsame Weise hatte dies eine therapeutische Wirkung.
    Die Behörden hielten mich für so unberechenbar und gefährlich, dass kein Krankenhaus mich aufnehmen wollte. Wie konnte man einen mordlustigen, 125 Kilo schweren Hells Angel zähmen? Mit einer Zwangsjacke und einer gepolsterten Zelle? Mit Drogen oder Gehirnchirurgie? Helen wollte das alles nicht zulassen, aber der Status quo war unerträglich. Sie fürchtete, ich würde dauerhaft den Verstand verlieren, wenn man mich nicht freiließ. »Du musst ihn dort rausholen«, sagte sie zu Sonny. »Er muss mit jemandem reden. Diese Leute kennen ihn nicht.« Sie, Sonny und Bonjour entschieden, meine Gewaltbereitschaft sei so groß, dass ich zu meinem eigenen Schutz überwacht werden müsse.
    »Können Sie ihn 24 Stunden am Tag im Auge behalten?«, fragte Bonjour Sonny. »Haben Sie fünf oder sechs Männer, die jede Minute bei ihm bleiben, während er sich erholt?«
    »Klar, mit Schichtwechseln sollte das möglich sein.«
    Aber meine Gewaltausbrüche zeigten Bonjour, dass das Risiko zu hoch war. Wie lange konnte der Club mich ohne Panne überwachen? Würde ich jemals wieder gesund werden? Das waren schwierige Fragen, doch Sonny versicherte Helen, der Club werde mich irgendwie rausholen, und wenn nötig, würden sie eine Dauerwache stellen.
    Mittlerweile war ich ins Bezirksgefängnis in der Stadtmitte verlegt worden. Bonjour riet mir, an meine Frau und an meine Kinder zu denken, wenn meine Albträume sich einstellten. Ich klammerte mich an seine Worte. Mit einem Bleistift schrieb ich immer wieder »Helen und die Kinder« auf jeden Quadratzentimeter der Zelle, sogar unter die Pritschen und unter das Waschbecken.

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