Böser Engel
einen empfindlichen Nerv des Clubs getroffen hatten. Einige Motorräder der Angels wurden umgestoßen, entweder aus Rache oder versehentlich, und es folgten weitere Vergeltungsschläge. Immer wenn die Angels eine Person herauspickten, um sie zu verprügeln, teilte sich die Menge wie das Rote Meer, damit die »Ordner« Platz zum Ausholen hatten.
Aus dem Blickwinkel des Clubs war dessen Gewalt nur Selbstverteidigung. »Leute, die Motorräder der Angels anfassten, bekamen Dresche«, erklärte Sonny später in einem Interview mit dem Rundfunksender KSAN-FM in San Francisco. »Die meisten wissen nicht, dass eine gute Chopper-Harley ein paar Riesen kostet. Niemand tritt ungestraft mein Motorrad. Die dachten vielleicht, weil sie 300 000 Leute sind, könnten sie sich das erlauben und damit davonkommen, aber wenn du dastehst und auf etwas schaust, was dein Leben ist, und wenn du in dieses Ding alles investiert hast, was du besitzt, du es mehr liebst als ... alles andere auf der Welt und ein Kerl es mit Füßen tritt, dann weißt du, was das für ein Kerl ist. Selbst wenn du dich durch fünfzig Leute drängen musst, um ihn dir zu schnappen, du kriegst ihn.«
Bei Sonnenuntergang explodierten Mick Jagger und die Stones in »Jumpin’ Jack Flash, it’s a gas, gas, gas!« Als ein Meer von Fans nach vorne drängte, wurde ein junger Schwarzer mit einer weißen Frau von einem Angel aufgehalten, dem diese Paarung anscheinend nicht gefiel. Beim ersten Anzeichen für ein Handgemenge strömten Angels hinter der Bühne hervor. Plötzlich hatte der Schwarze eine Schusswaffe in der Hand, und hinter ihm blitzte ein Messer auf. Er versuchte verzweifelt zu fliehen und stürzte zu Boden. Als Angels ihn mit Stiefeln ins Gesicht und in die Rippen traten, schrie er: »Ich wollte nicht auf euch schießen.« Dann sah man ihn nicht mehr.
Es gab viele Buhrufe, als die Musik mitten in einem Song aufhörte. Keith Richards setzte die Gitarre ab und verkündete: »Wenn ihr nicht damit aufhört, spielen wir nicht weiter.«
Mick Jagger wollte den Leuten ein Gefühl der Zusammengehörigkeit vermitteln und fügte hinzu: »Brüder und Schwestern, hört zu ... Regt euch ab.« Die Band nahm »Sympathy for the Devil« wieder auf und unterbrach den Song erneut jäh, als Totenköpfe über einem Körper wirbelten. Nach einem erneuten kurzen Versuch rief Jagger: »Wir brauchen einen Arzt und einen Krankenwagen!«
Der junge Schwarze, ein 18-Jähriger namens Meredith Hunter aus Berkeley, verblutete, während einige in der Menge lautstark nach Musik verlangten. Die ersten Sanitäter, die ihn erreichten, sagten, sein Tod sei unvermeidlich. Er hatte fünf Stichwunden im Rücken und ein klaffendes Loch unter dem linken Ohr. Sein ganzer Körper war übel zugerichtet.
Mit Hunter starben einige Mythen. Der Mythos der Angels als Beschützer der Blumenkinder. Der Mythos, die Gegenkultur brauche keine Friedenshüter. Der Mythos, dass Menschen, die dieselben Drogen und dieselbe Musik mögen, zusammengehören.
Während der Veranstaltung in Altamont war ich mit meiner Familie auf der Ranch und baute für die Zukunft. Wir hatten wirklich das Gefühl, dem zerstörerischen Einfluss des Clubs entkommen zu sein, aber da täuschten wir uns genauso wie die Hippies.
Eines Montags Anfang 1970 weckte Sonny mich um vier Uhr morgens zu Hause in Oakland mit einem Anruf auf. »Ich muss dich sprechen«, sagte er. »Es eilt. Kann ich vorbeikommen?«
»Klar«, sagte ich.
Als er ankam, flüsterte er: »Ich hab ’ne Leiche, die ich loswerden muss. Eine Braut hat Selbstmord begangen. Hat sich auf einer Party in den Kopf geschossen.«
»Was zum Teufel ist passiert?«
»Dein Freund hat wieder mal seine alten Spielchen gespielt.«
Mehr brauchte er nicht zu sagen. Er meinte Tramp. Ich wusste nur zu gut, dass Tramps sadistische Possen aus dem Ruder laufen konnten. Dass er wie ein Yeti aussah, erschreckte die Leute schon genug, aber er liebte auch perverse Spielchen, vor allem mit zugedröhnten Frauen. Wenn er sein unnatürlich elastisches Gesicht verzerrte, brauchte er einer Frau nicht mehr mit Vergewaltigung zu drohen, um ihr panische Angst einzuflößen. Er war unerbittlich, wenn er Lust auf Fleisch verspürte, und meist bekam er es, selbst wenn er eine Frau besteigen musste, die sich im LSD-Rausch wand. Genau das hatte er einmal auf meinem Wohnzimmerteppich getan.
Sonny erklärte, die Tote – deren Namen er bewusst nicht erwähnte – sei auf einer Party in einem Clubhaus in der Nähe
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