Böser Engel
nahestanden.
Nach dem Bericht des Gerichtsmediziners starb John Terrance Tracy, geboren am 21. Dezember 1939 in Michigan, im Alter von dreißig Jahren. Zuletzt ausgeübter Beruf: selbstständig seit zwei Jahren. Als Todesursache wurde »Verdacht auf Selbstmord« mit Seconal genannt. Das bedeutete, dass man nicht wusste, wer ihm die Überdosis verabreicht hatte. »Dieser Mann war Mitglied bei den Hells Angels und soll vor Kurzem aus dem Club verstoßen worden sein«, hieß es in dem Bericht weiter. Das sprach für die Theorie, dass Tramp sich nicht selbst umgebracht hatte. »Am Nachmittag des 13. Februar 1970 rief er seine Ehefrau an und sagte zu ihr, er habe jetzt endlich den Mut, Selbstmord zu begehen, und werde das Schlafmittel Nembutal schlucken. Als sie zu Hause (Underhill Road 1060) eintraf, fand sie ihn bewusstlos vor und brachte ihn mit einer Freundin ins Highland Hospital, wo er um 20.17 Uhr in die Notaufnahme eingeliefert wurde. Dort wurde ein Barbituratspiegel von 3,1 festgestellt.«
Einen Tag später gab es Hinweise auf ein anderes Szenario. Das Telefon klingelte, und ein hochrangiges Mitglied sagte zu mir: »Wir müssen dir etwas mitteilen.«
Dann nahm ihm ein anderes Mitglied den Hörer ab und bellte: »Also, hör zu.« Es folgte eine Bandaufnahme, auf der ein Mann keuchte, hustete und würgte, als erbreche er Blut, Wein oder etwas anderes. Er kämpfte anscheinend um sein Leben. Es musste Tramp sein. Das Keuchen hörte abrupt auf, und in der Leitung machte es »klick«.
Ich war sprachlos und zitterte, meine Ohren klingelten. Bis zum heutigen Tag weiß ich nicht, wer mich damals angerufen hat. Vielleicht wollte mir jemand Angst einjagen oder mir einen Gefallen tun, weil Tramp mich gelinkt hatte. Ich war mir sicher, dass ich Tramp gehört hatte, und es war schwer zu verkraften, so schwer, dass ich nicht nach Erklärungen fragte.
Auf Wunsch seiner Eltern wurde Tramp im Friedhof St. Mary in Oakland auf einem Abhang über der Bucht begraben. Auf seinem Grabstein war nicht der übliche Totenkopf eingemeißelt, und es gab kein großes Begräbnis. Nur ein paar Clubfrauen machten sich die Mühe, von ihm Abschied zu nehmen.
Der letzte Weg eines Mitglieds sagte einiges aus. Wenn der Verstorbene einen guten Ruf hatte, befand sich der Totenkopf an seinem Sarg, er trug neue Aufnäher, und sein Motorrad stand neben ihm in der Leichenhalle. Mehr als hundert Mitglieder aus allen Chartern sowie Abgesandte anderer Outlaw-Clubs nahmen am Begräbnis teil, und Angels trugen den Sarg.
Magoos Beerdigung ein Jahr zuvor stand in krassem Gegensatz zu Tramps letztem Gang. Der Lkw-Fahrer Magoo, eines der beliebtesten Mitglieder und eine Art Ehrenarzt des Clubs, starb während eines Mittagsschlafs auf dem Rücksitz seines VW-Trucks an Herzversagen. 49 Am Tag der Beerdigung war sein Haus vollgestopft mit Dutzenden von Clubmitgliedern und deren Familien sowie seinen Verwandten, unter ihnen seine Frau und seine Mutter. Draußen bekifften und betranken sich weitere Männer unter den wachsamen Augen von Polizisten. Als die Gebete beendet waren und es Zeit war, die Leiche zu besichtigen, standen einige betrunkene Bikergroupies vor dem Sarg und schrien: »Magoo! Steh auf, Magoo! Steh auf.« Sie versuchten, ihn vor seinen entsetzten Angehörigen wiederzubeleben.
»Verdammter Blödsinn«, sagte ich und scheuchte, obwohl ich kein aktives Mitglied war, die dämlichen Bräute hinaus. Es war mir egal, ob ich dadurch jemanden beleidigte. Magoo war mein Freund gewesen.
Magoo wurde unter einem kleinen Baum im Friedhof Evergreen begraben. In seinen schwarzen Grabstein hatte jemand das Club-Emblem eingemeißelt. Ein paar Worte wurden gesprochen, dann ließen einige Leute zum Abschied ein paar Joints kreisen und legten die verglühenden Stummel in einem Aschenbecher ab – für den Fall, dass er einen letzten Zug nehmen wollte.
Kapitel 23
Leben mit der Toten
»Der Traum war zu Ende. Er wurde zum Albtraum. Als ich erfuhr, dass das Mädchen da war, wollte ich nicht mehr auf die Ranch gehen, und als George mir zeigte, wo sie lag, wollte ich mich der Stelle nicht mehr nähern. Wir lebten lange Zeit in der Hölle. Wir wussten, dass die Polizei sie finden würde, denn mit so was kommt man nicht einfach davon. Andererseits war Sonny schlau, und wir dachten, wenn jemand damit davonkommen könne, dann er. Es dauerte etwa ein Jahr, bis ich wieder zur Ranch gehen und die Leiche vergessen konnte. Wir mussten weitermachen, da es nun mal passiert war.
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