Böser Engel
Also bauten und planten wir weiter.«
Helen Wethern
I m Jahr 1970 begannen wir ein normales Familienleben. Wir waren wie Tausende andere Mittelschichtfamilien in der Stadt: Ich arbeitete acht Stunden am Tag, Helen kümmerte sich um den Haushalt, die Kinder bekamen gute Schulnoten, und an den Wochenenden flohen wir aufs Land.
Zur Vorbereitung auf die Wochenenden besorgte ich Baumaterial und Helfer. Gestohlene und geschenkte Geräte, Bauholz und anderes Zeug im Wert von etwa 15 000 Dollar landeten auf der Ranch. Und fast die ganze Arbeit bekam ich umsonst. Wenn ich einen Installateur, Elektriker oder Maurer brauchte, rief ich einen an und fragte: »Hallo, hast du am Samstag etwas vor?« Aus Kollegialität kamen sie zur Ranch und gingen meist mit etwas Gras oder Schnaps nach Hause.
An jedem Wochenende versammelten sich bis zu 15 Männer – Angels und ehemalige Angels, Bauarbeiter und alte Freunde – mit Frauen, Freundinnen und Kindern auf der Ranch. Arbeit und Spaß hielten sich die Waage, aber das Haus nahm Form an. Mein Kollege Ben und ich zimmerten den Rohbau fast allein. aber J. B. und einige aktive Mitglieder, darunter Winston und Zorro, montierten die Deckenbalken und mauerten die Wände.
Wenn die Frauen uns nicht gerade gekühlte Getränke und Essen reichten, schafften sie mit Lkws Bauholz heran oder fuhren in die Stadt und holten Eisenwaren oder Proviant. Helen und die Kinder schleppten so viele Steine herbei, dass wir einen riesigen Kamin bauen konnten. Um Helen zu überraschen, beauftragte ich den Steinmetz, einen großen jadefarbenen Felsbrocken – ihren Lieblingsstein – als Mittelstück zu verwenden.
Unsere Nachbarn freundeten sich mit uns an, aber die Polizei war anscheinend der Meinung, es handle sich hier um ein Clubhaus der Hells Angels und den Ausgangspunkt für allerlei Laster. Nach einigen Einbrüchen in der Umgebung fuhr ein Beamter in Zivil durch das Ranchtor, gedeckt von Polizeiautos, die sich hinter den Bäumen versteckten. Er befragte mich zu den Einbrüchen und bedeutete mir, wir würden auf Widerstand stoßen, wenn wir versuchen sollten, hier eine Bikersiedlung zu gründen.
»Schauen Sie, das ist mein Haus«, sagte ich. »Es ist für meine Familie gedacht. Ich setze es bestimmt nicht mit Diebstählen in der Umgebung aufs Spiel. Die Leute hier haben nichts, was ich gern hätte. Und ich habe ohnehin mehr als sie.«
Diese Belästigungen verärgerten mich. Wir statteten das Haus mit einer Gegensprechanlage im Wert von 400 Dollar aus und wollten auch das Eingangstor daran anschließen. Außerdem kauften wir einen Bewegungsmelder, den wir jedoch nie einbauten, weil wir fürchteten, nachts von Hirschen geweckt zu werden. Stattdessen brachten wir am Tor ein Schild mit einem Totenschädel und gekreuzten Knochen an, auf dem stand: »Kein Zutritt. Überlebende werden angezeigt.«
Manchmal feierten wir auch wie bei Tommys Hochzeit. Es war ein kleines, schlichtes Fest, das mit einer Party am Vorabend begann. Neben meiner Familie sowie Tommy und seiner Braut Marilyn standen nur wenige Leute auf der Gästeliste: Kooie, der Fensterputzer, der ehemalige Frisco-Angel Napa Bob mit seiner Frau Carol, J. B. und Irma mit ihrer Brut, der Dealer Duke und sein rotbärtiger Freund, dessen Namen ich schnell vergaß, obwohl er mehr Hasch rauchte und mehr Kokain zog als alle anderen zusammen.
Am folgenden Morgen versammelte sich die Hochzeitsgesellschaft unter riesigen Eichen auf einem Grashügel. Tommy, der in seiner neuen Hüfthose ganz elegant aussah, kramte einen Goldring hervor, während seine Braut glücklich lächelte und den Lederrock über ihren Hüften glattstrich.
Duke sollte einen Pfarrer mitbringen. Grinsend und mit theatralischer Geste zeigte er auf das Wohnmobil, aus dem gerade der rotbärtige Typ herauskam. Sein langes Haar war weg, und auf seinem kahlen Schädel spiegelte sich die Sonne. In seinem purpurroten Talar machte er einen satanischen Eindruck, und wir brauchten alle einen Moment, um zu begreifen, dass der Pfarrer von heute der Drogenkonsument von gestern war, wenn auch ohne Perücke. »Wer ist der Kerl?«, fragte jemand.
»Mann, mit dem haben wir Party gefeiert«, kicherte ich. »Das ist unser Pfarrer.«
Nach dieser Definition war J. B. ein Doktor der Theologie und Sonny ein Bischof. Der rotbärtige Mr. Q. war ein bestellter Pfarrer mit einer bestellten Hochzeitszeremonie, aber er vollzog eine glaubwürdige Trauung. Tommy und Marilyn waren fröhlich berauscht, als sie ihre
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