Boeser Traum
ein kläffender Hund gewirkt, der zwar den Schwanz eingeklemmt hat, aber trotzdem mutig bellt.
Kurz überlegte er, bei Charlottas Eltern anzurufen und zu fragen, ob sie schon wieder aufgetaucht war. Aber: Was würde er sagen, wenn ja, und was, wenn nein? Im schlimmsten Fall vermuteten die Brandts, dass er von der Lüge gewusst habe.
Er steckte das Telefon wieder weg und fuhr weiter. Es war noch früh, noch lange hell. Er konnte noch lange suchen.
HeiÃkalte trotzige Angst
H ochstraÃe 26 stand auf dem Zettel. Markus Bernd guckte noch mal drauf. Langsam ging er zwischen der 24 und der 28, zwei imposanten Altbauten, hindurch und stand in einem erstaunlich ruhigen Innenhof. Ein kleiner Brunnen war da, zwei Klettergerüste, eine Wiese. Eine unerwartete Oase. Zielstrebig ging er auf das zurückliegende Haus zu, drückte zweimal kurz bei Engels. Er wartete und erschrak, als ihn von hinten jemand antippte. Vor ihm stand ein Mädchen, sechzehn oder siebzehn, und fragte freundlich, ob er gerade bei Engels geklingelt habe.
»Stimmt. Warum?«
»Dann wollen Sie zu uns!«
»Wen meinen Sie mit uns ?«, fragte er vorsichtig nach.
Sie drehte sich um und zeigte hinüber in den Garten auf einen Mann und eine Frau, die sich mühten, einen Grill anzumachen.
»Mama, Papa, Tochter Engels«, verkündete das Mädchen.
»Ich würde gerne mit Ihren Eltern reden«, sagte Markus Bernd und holte tief Luft. Er würde gleich in drei Gesichtern Schmerz, Angst, Unglauben sehen.
»Du bläst die Glut nicht an, du bläst sie aus«, lachte der Mann, als Bernd sich näherte. »Es hat sich nichts geändert.«
»Es hat sich nichts geändert?«, fragte die Frau und grinste zurück.
»Herr und Frau Engels?«
Die beiden drehten sich um, hatten ihn wohl noch gar nicht bemerkt.
Das Gespräch verlief nicht so, wie er gedacht hatte. Nachdem abgeklärt war, dass das Ehepaar Engels eine weitere Tochter hatte, die seit heute Morgen mit ihrem Rad unterwegs war, und er die Nachricht vom Unfall überbracht hatte, fing der Mann an zu weinen. Die Frau nicht.
»Sie ist auf der Intensivstation. Das heiÃt, sie lebt«, stellte sie fast trotzig fest.
»Ja. Aber sie sollten besser hinfahren, um da zu sein, falls sie aufwacht.«
»Falls?«, fragte die Frau kühl. »Sie meinen, wenn sie aufwacht.« Dagmar Engels schüttelte den Kopf. Als wollte sie ihre Gedanken in die richtige Reihenfolge bringen. Sie drehte sich zu Michael und Sophie: »Wir fahren jetzt ins Krankenhaus. Und wir haben keine Angst. Emilia stirbt nicht einfach so. Nicht Emilia. Die hat einen Dickkopf.«
In all seinen Berufsjahren hatte Markus Bernd noch keine Mutter erlebt, die es so perfekt schaffte, sich selber Mut zuzureden. Er verabschiedete sich und drehte sich um. Er sah nicht, wie Dagmar Engels kurz ins Wanken kam. Als sie nach einem Halt suchte, griff sie kurz in den Grill, wo die Kohlen jetzt doch glühten. Sie zuckte unmerklich, guckte irritiert auf die verbrannte Hand und sagte nichts.
Fünf Minuten später sitzen sie im Auto. Michael würgt zweimal den Motor ab.
»Jetzt fahr endlich«, herrscht Dagmar ihn an. Dann sieht sie seine zitternden Beine. »Steig aus. Ich fahre«, bestimmt sie.
Der Motor heult auf, als sie aus der Parklücke schieÃt. Dagmar Engels beginnt, auf sich selbst einzureden. »Sie wird gesund. Ich fühle das. Meine kleine Tochter wird nicht sterben.«
Michael Engels hat das Gesicht in den Händen verborgen. Sophie sitzt hinten kerzengerade. Sie versucht, nichts zu denken und zu fühlen.
»Hau ab da«, brüllt Dagmar und hupt einen Autofahrer vor ihr an, der ihr im Weg ist. Der Wagen biegt ab. Dagmar hängt sich an den nächsten Vordermann. Mit Lichthupen will sie ihm klarmachen, dass er sich verdammt beeilen soll. »Arschloch. Lahmes Arschloch«, zischt sie. Sophie sieht im Rückspiegel den Blick der Mutter, sieht, dass die Tränen ununterbrochen laufen. Dagmar Engels wischt sie nicht ab. Vielleicht bemerkt sie sie aber auch gar nicht.
Vor dem Krankenhaus lässt sie den Wagen einfach stehen und steigt aus.
»Mama, hier ist absolutes Halteverbot«, merkt Sophie an.
Die Mutter fährt zu ihr herum. »Und? Von mir aus können sie die Karre abschleppen oder sprengen.«
Schon ist sie weiter, ihr Exmann und Tochter haben Mühe, Schritt zu halten. Vor dem Informationsschalter schiebt die
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