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Boeser Traum

Boeser Traum

Titel: Boeser Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Schlieper
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Und dann muss sie feststellen, dass sie nicht an Toilettenpapier gedacht haben. Das ist jetzt noch nicht wirklich schlimm. Es wird aber schlimm werden. Sie zieht ruckartig die Hose hoch, spült den Urinfleck auf dem Boden mit Wasser in den Abfluss.
    Plötzlich brüllt sie. »Super, Emilia. Ganz, ganz super. Ich muss demnächst in einen Eimer kacken und habe noch nicht mal Papier.«
    Ihre Stimme halt laut in dem leeren, kalten Raum. Charlotta wäre entsetzt, könnte sie sich jetzt im Spiegel sehen. Ihr Gesicht ist wutverzerrt. Jetzt, wo sie das Ventil geöffnet hat, kommt alles raus. Sie stellt sich in die Mitte des Raumes, stellt sich vor, Emilia stünde hier vor ihr, und dann legt sie los: »Das hast du dir wirklich super ausgedacht. Ich werde hier lebendig begraben, meine Eltern sterben Millionen kleine Tode vor Angst, dann kommt meine wundersame Auferstehung und wir haben uns alle wieder lieb.«
    Charlotta hat die Arme in die Seite gestemmt, sie legt den Kopf leicht schräg: »Hast du vielleicht mal eine Sekunde darüber nachgedacht, dass du ja mitkommen könntest? Wir hätten ja auch zusammen auf dieses Internat gehen können. Vielleicht wäre das sogar richtig geil geworden. Wir beide alleine in Frankreich. Aber nein. Das wäre dir zu anstrengend geworden. Da ist es schon leichter, dass ich jetzt hier sitze und friere. Was? Draußen ist es warm? Du hast dir einen leichten Sonnenbrand geholt? Das tut mir leid«, höhnt Charlotta. Aber sie ist immer noch nicht fertig. Ȇbrigens wäre es ganz schön, wenn du mal aufhören könntest, über Mats abzulästern. Ich finde es ein bisschen peinlich, wie du zum kläffenden Dackel wirst, sobald er sich nähert. So.«
    Die Spannung in ihr löst sich, sie lässt den Kopf nach vorne hängen. Schüttelt ihn ganz langsam.
    Â»Ich werde wahnsinnig«, flüstert sie. »Und es sind noch nicht mal sechs Stunden rum.«
    Die Stille danach ist brutal. Charlotta merkt, wie fast alle ihre Sinne auf Eis gelegt sind. Sie hört nichts, keinen Ton. Sie riecht nichts. Der feuchte, modrige Geruch des Kellers ist schon Normalität. Sie fühlt nichts. Keinen Windhauch. Sie muss sich selbst umarmen, um Wärme wahrzunehmen. Ihr Mund ist trocken. Sie müsste mal wieder weinen, um wenigstens etwas Salziges schmecken zu können. Ihr wird jetzt bewusst, dass sie nicht nur alleine hier ist. Es sind nicht nur keine anderen Menschen da. Es ist nichts anderes da. Nichts, gar nichts, was sie irgendwie von sich ablenken wird. Es wird nichts passieren, außer sie tut es. Die Zeit wird von alleine vergehen. Aber das kann sie nicht fühlen. Sie muss die Leere füllen. Sie bekommt langsam einen Eindruck davon, was vor ihr steht. Und sie ist sich sicher: Wenn sie die Prüfung besteht, wird sie danach stärker sein.
    Wenn sie die Prüfung bestehen kann.
    Uwe Brandt ist während der letzten Kilometer immer langsamer geworden. Das fällt sogar Niklas auf der Rückbank auf.
    Â»Ist das Auto kaputt?«, fragt er neugierig. »Haben wir keinen Sprit mehr?«
    Â»Alles in Ordnung«, lügt der Vater nach hinten.
    Claudine guckt ihren Mann von der Seite an. Sie versteht ihn. Eigentlich will sie so schnell wie möglich nach Hause. Sehen, dass Charlotta da ist. Vor der Glotze abhängt, sich in der Sonne aalt oder in ihrem Zimmer hockt. Dann gibt es einen Abriss, wahrscheinlich mit viel Gebrüll und Türen knallen, und dann ist es gut.
    Was aber, wenn die Tochter immer noch nicht zu Hause ist? Genau dieser Gedanke ist es, der auch ihren Mann langsamer werden lässt. Claudine Brandt wünscht sich sehnlich Gebrüll und Türenknallen. Bloß keine Stille.
    Sie wird enttäuscht.
    Â»Charlotta? Bist du da?«
    Die Stimme von Uwe Brandt ist laut und ein bisschen wackelig. Claudine Brandt weiß vom ersten Moment an, dass niemand zu Hause ist. Das spürt sie, das riecht sie, das hört sie. Wenn Charlotta zu Hause ist, sind immer irgendwelche Lampen an, stehen immer Fenster offen und meist ist ein dumpfer Rhythmus zu spüren. Von Jacken auf dem Boden, Schuhen, die im Weg liegen, mal ganz zu schweigen. Claudine Brandt hält Ausschau nach einer Nachricht. Vielleicht war Charlotta hier und hat ihnen einen Zettel hingelegt, wo sie zu finden ist. Nichts. Claudine schlägt Niklas vor, dass er noch ein bisschen im Garten spielt, dann dreht sie sich zu ihrem Mann um: »Wir müssen

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