Boeser Traum
die Fassung verlieren, stammeln, heulen, zittern. Er steht dann immer da, guckt verlegen auf den Boden und wünscht sich weit weg. Er kann nicht trösten, nicht helfen, nichts versprechen. Er kann das nur aushalten und auf den Moment warten, wenn er sich zurückziehen kann. Er hofft, dass er Emilias Mutter oder ihren Vater nicht alleine antrifft. Das macht es oft noch schwerer.
Er hat noch eine gute halbe Stunde Zeit bis Feierabend und keine Lust auf die Schreibtischarbeit, die sonst noch auf ihn wartet. Kurz entschlossen macht er den PC aus. Um die Zeugenaussage des Unfallfahrers, die die Kollegen einholen sollen, wird er sich am Montag kümmern. Er verlässt das Gebäude, geht quer über die StraÃe ins Kaufhaus und ersteht den neuen Cars-Truck. Feuerrot. Riesig. Seine Frau wird schimpfen, sein Sohn Marvin wird begeistert sein. Er wird ihn lieben. Den Truck und den Vater. Er wird Markus Bernd um den Hals fallen und der Vater hat ein, zwei Sekunden, um sein sentimentales Gefühl auszuleben und das Kind fest zu drücken. Er ist so verzweifelt dankbar, dass es nicht sein Sohn war, der da heute von der StraÃe gekratzt wurde.
Zu viele Fragen
M ats war nach dem überraschenden Besuch von Claudine Brandt verwirrt. Wieso hatte Charlotta ihre Eltern belogen? Das passte so gar nicht zu ihr. Oder zumindest nicht zu dem Eindruck, den er von ihr hatte. Fast sah es so aus, als hätte sie ihn als Alibi benutzt. Warum sonst sollte sie behaupten, er hätte ihr Rad repariert und sie wäre deswegen zu ihm gefahren. Wofür brauchte sie ein Alibi? Wohin war sie wirklich gefahren? Und warum konnte sie das ihren Eltern nicht sagen? Immer wieder fragte er sich das und immer wieder kam er zu derselben Antwort: Sie traf sich mit irgendeinem Typen. Das wollte Mats nicht glauben. In seiner Verzweiflung hatte er sich noch überlegt, dass sie vielleicht heimlich einen Job angenommen hatte, um sich ein bisschen was dazuzuverdienen. Ihm war schnell klar, dass er sich was vormachte. Irgendwann hielt er die Grübeleien nicht mehr aus. Er setzte sich aufs Rad und fuhr los. Ohne besonderes Ziel, aber mit einer Hoffnung. Vielleicht fand er sie ja. Er würde gerne ihr Gesicht sehen, wenn sie viel zu nah neben irgendeinem blöden Typen hockte, der vielleicht noch einen Arm um sie gelegt hatte. Er fuhr runter zum Freibad, suchte unter den vielen Rädern das mit dem blöden Hup-Frosch und der lilafarbenen Luftpumpe. Fehlanzeige. Von da aus radelte er durch den Park, wo unzählige Jugendliche auf den Wiesen lagen, Frisbee spielten, sich sonnten, kickten. Nirgends Charlotta. Er spurtete Richtung FuÃgängerzone. Vielleicht war sie mit ihrem heimlichen Lover vor der Eisdiele. Oder sogar in der Eisdiele, wenn sie das helle Licht scheuten. Er fand sie dort nicht, auch nicht auf dem groÃen Platz vor McDonaldâs. Mats versuchte es auch an den unwahrscheinlichen Orten. Am Busbahnhof, wo immer ein paar Jugendliche abhingen, auf dem Bolzplatz in der Altstadt. Keine Charlotta. Er wusste nicht, ob er sich darüber freuen sollte oder nicht. Er hatte Angst davor, sie hier irgendwo in einer fiesen Situation zu sehen. Wenn er sie aber nirgendwo fand, war sie dann bei dem Typen zu Hause? Atemlos stieg er ab und holte das Telefon raus. Sollte er sie jetzt einfach anrufen? Und was, wenn sie dranging? Was sollte er dann sagen? Liebe Charlotta, erzähl deinen Eltern nicht noch mal so einen Mist. Ich habe keine Lust, dass deine Mutter bei uns auftaucht und mir komische Fragen stellt? Wäre wohl keine gute Idee. Er könnte natürlich auch einfach fragen: Wo bist du gerade und mit wem? Dazu hatte er kein Recht. Da hätte er in den letzten Wochen ein bisschen mutiger sein müssen. Eigentlich wollte er ja mutiger sein. Aber immer wieder war ihm diese Emilia in die Quere gekommen. Die verstand sich offenbar als persönlicher Bodyguard für Charlotta. Was ihn richtig wütend machte, war, dass sie ihn dabei behandelte, als sei er ein notgeiler Penner mit offenem Herpes. Er hatte Emilia mal gemocht. Als Kumpel gemocht. Sie waren zusammen auf einer Freizeit gewesen und er fand sie extrem witzig und schlagfertig. AuÃerdem war er immer wieder beeindruckt, wie mutig sie ihr Outfit zusammenstellte. Ob riesige Sonnenbrillen, bunte Muster, grelle Farben oder lustiges Kinderzubehör: Ihr war nie was peinlich gewesen. Und sie hatte jeden Quatsch mitgemacht. Aber in den letzten Monaten hatte sie auf ihn wie
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