Boeser Traum
oder gefragt hatte â Emilia hatte ihm eine patzige Antwort gegeben. Auch wenn eigentlich Charlotta angesprochen gewesen war. Wut steigt in Charlotta hoch. Ist Emilia vielleicht eifersüchtig? Will sie die Freundin ganz für sich und sperrt sie deswegen ein?
Charlotta schreit. So laut sie kann. So lang sie kann. Was sind das für ScheiÃgedanken in ihr? Woher kommen die? Traut sie das ihrer Freundin zu? Nein. Verdammt, nein.
» NEIN. NEIN. NEIN« , schreit sie gegen die Wände. Sie setzt sich wieder auf die Stufe, hält sich die Augen zu. Wenn sie wenigstens schlafen könnte. Schlafend vergeht die Zeit am schnellsten. Und man hat auch nicht so einen Durst. Von Mal zu Mal hat sie weniger getrunken. Trotzdem ist die Flasche nur noch noch halb voll. Das ist nicht viel.
Julius findet Emilias Eltern in der Cafeteria. Sie sitzen stumm vor der wahrscheinlich zwanzigsten Tasse Kaffee des Tages.
»Sie möchten bitte zu Dr. Hofer kommen«, sagt Julius freundlich.
Michael Engels springt auf, sein Stuhl fällt nach hinten um. Er spürt noch nicht mal, dass ihn ein Stuhlbein empfindlich am Knöchel getroffen hat. »Warum? Geht es Emilia schlechter?«
Einige Leute an den umliegenden Tischen schauen ihn mitleidig an.
»Nein. Machen Sie sich keine Sorgen. Der Chefarzt möchte Sie nur kurz über den neusten Stand informieren«, versucht Julius die Eltern zu beruhigen.
»Soll ich Sophie dazuholen? Sie wollte drauÃen etwas spazieren gehen«, fragt Dagmar Engels. Leise fügt sie hinzu: »Ihr wird schlecht von dem Geruch hier.«
Julius lächelt. Das mit der Ãbelkeit durch den Geruch hat er schon so oft gehört. Daran glauben kann er nicht. Er sieht nur die Angst in den Gesichtern der Menschen, die einfach nicht mit Krankheit und Schlimmerem konfrontiert werden möchten und flüchten.
»Ich denke, das wird nicht nötig sein«, antwortet er.
Drei Minuten später sitzt das Ehepaar Engels nervös vor dem groÃen Chefarzt-Schreibtisch.
»Wir sind zuversichtlich. Was sehr erstaunlich ist bei der Schwere des Unfalls. Die bisherigen Untersuchungen sehen gut aus. Und deswegen rate ich Ihnen, jetzt nach Hause zu fahren. Ihre Tochter braucht jetzt einfach nur Ruhe. Ihr Gehirn muss sich erholen. Ihr Körper muss sich erholen. Das braucht einfach nur Zeit. Legen Sie sich zu Hause hin. Wir melden uns sofort bei Ihnen, wenn es irgendeine Veränderung geben sollte«, teilt er den Eltern mit.
Dagmar und Michael nicken synchron. Hinlegen, das klingt gut. Mal ein paar Minuten die Gedanken abschalten.
»Aber wir können noch mal kurz zu ihr gehen, oder?«, fragt Dagmar vorsichtig.
Der Chefarzt willigt ein. Er ist selber Vater.
Als Dagmar kurze Zeit später ganz sanft nach Emilias Hand greift, zuckt die Tochter. Offenbar war sie wieder eingenickt. Ihre Lippen bewegen sich. Ein Flüstern folgt. »Lotta«, sagt sie angestrengt.
Dagmar schaut ihren Exmann an. Kann es sein, dass Emilia spürt, dass Charlotta etwas passiert ist? Sind die beiden so innig miteinander verbunden? Oder fragt sie nur so nach der Freundin? Will sie sie sehen?
»Charlotta geht es gut«, sagt Dagmar leichtfertig. »Wenn es dir etwas besser geht, kann sie dich besuchen«, behauptet sie. »Morgen bringe ich dir schon mal ein Foto von ihr mit. Dann ist sie schon ein bisschen bei dir.«
Sie sieht, wie die Worte bei Emilia ankommen und sich deren Gesicht etwas entspannt. Emilia versteht nicht alles, aber sie spürt, dass die Worte gut klingen.
Die Geräusche kommen zurück
J ulius kann sich nur schwer von seiner neuen Lieblingspatientin trennen. Immer wieder streicht er über ihren Unterarm. Der ersten ruhigen Schlafphase folgt eine unruhige Zeit. Er merkt, wie hinter ihren Pupillen ein Kampf tobt. Die Lider flattern, die rechte Hand zuckt. Der Puls steigt. Er spürt, dass in dem Kopf des Mädchens ein Abgrund klafft. Er guckt auf die Uhr, erschrickt und löst sich nur schweren Herzens. Als er auf dem Rad sitzt, tritt er kräftig in die Pedale. Er hat einen Besichtigungstermin für ein möbliertes Zimmer. Am Freitagabend war es wieder schlimm gewesen. Gestern Morgen ist er um sechs Uhr aufgestanden, um sich den Teil mit den Vermietungen in der Zeitung anzusehen. Das Zimmer in der Altstadt klang nicht schlecht. Aber in seinen Ohren klingt jedes Zimmer gut, in dem er seine Ruhe hat. In dem nicht nebenan Männerbesuch ist und sich
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