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Boeser Traum

Boeser Traum

Titel: Boeser Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Schlieper
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kuschelt sich an sie. Sie hat dann immer diesen riesigen Zottelbär im Gesicht, aber auch das erträgt sie. Was sie nicht erträgt, ist der Gedanke, dass Niklas sich jetzt Sorgen macht. Dass er Angst hat. Schlimmer, dass er denken könnte, sie wäre freiwillig weggegangen. DAS BIST DU AUCH , schreit es in ihr. Sie liegt lang auf dem schmutzigen Boden und fühlt sich so schuldig. Langsam guckt sie hoch. Es gibt eine Möglichkeit, Niklas eine Nachricht zukommen zu lassen. Sie starrt auf die Glasscherbe ein paar Meter von ihr entfernt und fragt sich, ob sie sich das traut.
    Irgendwann wird sie gefunden. Vielleicht in zwei Wochen, vielleicht in einem Jahr, vielleicht in zehn Jahren. Und dann wird man schnell wissen, wem die Knochen gehören. Und Niklas würde die Nachricht bekommen. Die sie mit Blut auf den Boden geschrieben hat. Sie überlegt ganz nüchtern. Wo soll sie sich den Schnitt am besten zufügen? Gesichtsverletzungen bluten immer heftig. Aber wenn sie nicht sehen kann, wo sie schneidet? Wohl keine gute Idee. Sie guckt ganz kühl kalkulierend an sich herunter. Die Oberschenkel. Sie nickt bei dem Gedanken. In dem Fleisch ist bestimmt genug Blut. Sie zieht die Jeans aus. Schluckt zweimal trocken. Während ihre rechte Hand einen langen Schnitt auf ihrem Bein hinterlässt, beißt sie sich zeitgleich fest, ganz fest, auf den linken Daumen. So muss sie wenigstens keinen Schrei hören.
    Im ersten Moment spürt sie fast nichts, dann ein unendliches Stechen. Sie merkt, dass ihr schwindelig wird, ihr Kreislauf kurz wegsackt.
    Â»Verdammte Scheiße. Jetzt reiß dich zusammen«, zischt sie sich selber zu.
    Sie taucht ihren Finger in die Wunde, steckt schnell wieder den Daumen zwischen die Zähne.
    Mein Niklas, schreibt sie und muss dazu viel Blut holen.
    Sie braucht lange. Immer wieder schließt sie die Augen, holt tief Luft. Sie hätte nicht gedacht, dass es so wehtun würde. Sie ermahnt sich, dass das wohl wenig sein wird zu den Schmerzen, die ihr kleiner Bruder erleiden wird. Ihre Schrift ist krakelig, die Buchstaben wirken unförmig. Aber sie schafft es.
    Aus dem Himmel guck ich auf dich .

Ein neues Ende
    G anz ruhig fixiert sie den Satz und hat noch nicht mal mehr Tränen. Es ist plötzlich eine ganz warme, trockene und tiefe Trauer, die sie ausfüllt. Sie merkt gar nicht, dass sie immer wieder laufende Bluttropfen mit ihrem Finger auffängt und den Finger ablutscht. Sie sieht wieder David und Tim vor sich.
    Nein, das ist nicht das Ende ihres Films. Sie braucht einen anderen Schluss. Mitten in der Nacht wacht David auf und weiß, wo er Tim suchen muss. Er zieht sich an und schleicht sich raus. Er fröstelt, weil er nur ein T-Shirt übergestreift hat. Er rennt los. Das Parkhaus ist drei Kilometer entfernt. Er läuft die Auffahrten zu den Parkdecks hoch. Als er oben auf dem fünften Deck ankommt, ist er völlig außer Atem. Er bremst ab, wird langsamer. Er spürt schon das Knirschen von Sand unter den Schuhen. Es hatte ein riesiger Beach-Club werden sollen. Mit etlichen Tonnen Sand, Strandkörben und allem. Dreimal hatten Tim und David hier eine Coke trinken wollen. Dreimal waren sie nicht bedient worden. Sie wären zu jung, hatte ihnen eine affige Kellnerin geantwortet.
    Â»Irgendwann liegen wir hier im Sand und schauen in den Sternenhimmel«, hatte Tim damals fest behauptet. Als der Club nach vier Wochen zumachen musste, hatten die Freunde gefeixt. Hätten sie uns mal reingelassen, dann wären sie nicht pleite, hatten sie gelacht. Der Sand liegt immer noch da. Nach den hellen Neonlichtern im Parkhaus müssen sich Davids Augen erst wieder an die Dunkelheit gewöhnen. Und dann sieht er ihn. Tim liegt auf dem Rücken, er hat die Jacke zum Kopfkissen zusammengerollt. Er zuckt zusammen, als David sich neben ihn fallen lässt.
    Â»Hast du wenigstens eine Coke dabei?«, fragt er schließlich.
    Â»Du weißt doch, für uns gibt es hier keine Coke. Nur Sand, Sterne und Träume«, sagt David.
    Das wäre das Ende.
    Charlotta schließt die Augen. Es wäre ein guter Film. Aber alles Blut in ihr wird nicht reichen, das Drehbuch auch noch aufzuschreiben.

Küchentisch-Erinnerungen
    J ulius fühlt sich erschöpft. Er spürt, dass es falsch war, dieses Zimmer zu nehmen. Er ist zu müde, um schon wieder auf die Suche zu gehen. Oder gar zu fragen, ob sein altes Zimmer im Schwesternwohnheim noch frei ist. Dazu ist

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