Boeser Traum
er auch zu stolz. Sein Vermieter hatte ihn am Morgen, als er vom Krankenhaus kam, abgefangen, gefragt, ob er nicht auf einen Kaffee mit in die Küche kommen wolle. Eigentlich wollte Julius nicht. Aber er ist so höflich, so harmoniebedürftig. Er glaubt, dass der Mann vielleicht einsam ist. Vielleicht ist seine Frau vor nicht allzu langer Zeit gestorben, und er weià nicht, mit wem er reden soll. Also hatte Julius genickt und saà somit ein paar Minuten später mit diesem Fremden am Küchentisch. Es fühlt sich an wie früher. Fürchterlich. Er sitzt mit einem fremden Mann am Tisch, weià nicht, was er reden soll. Das Gegenüber weià es auch nicht und die Stille ist lähmend. Sogar der Minutenzeiger der Küchenuhr scheint befallen zu sein. Wie oft hat er morgens mit einem fremden Mann am Tisch gesessen? Seine Mutter war unter der Dusche und er saà da und aà seine Cornflakes. Er hatte immer versucht, flach durch den Mund zu atmen. Warum gingen diese Männer nicht auch unter die Dusche? Oder nach Hause? Manche hatten mit ihm geredet. Hatten verklemmt versucht, freundlich zu sein. Das fand er eigentlich noch schlimmer. Er wollte essen, aber mit vollem Mund konnte er nicht antworten. Nicht zu antworten, fand er unhöflich. Wenn so Unterhalter-Männer da waren, aà er nichts und ärgerte sich.
Er hatte den ganzen Tag dieses Gefühl nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Selbst beim Joggen rannte es mit. Als er am Abend seinen Dienst antritt und registriert, dass Lisa auf unerklärliche Weise auch wieder mit ihm zusammenarbeitet, wird ihm leicht übel. Er kann fast spüren, wie sie ihn anguckt. Wie ihr aufdringlicher Körper sich in seine Richtung wendet. AuÃerdem hat sie immer einen leicht geöffneten Mund. Das findet er obszön. Dann kommen wieder Bilder in ihm hoch. Bilder, die eigentlich hinter sieben verschlossenen Türen in seinem Kopf waren. Offenbar schlüpfen die einfach unter der Tür durch.
Er erschrickt, als es in der kurzen Besprechung um Emilia geht. Sie war den ganzen Tag nicht ansprechbar? Das hatte er nicht gewollt. Sie hätte nicht zu wach sein sollen. Sie sollte nur anderen nicht zu viel erzählen. Er nimmt sich vor, mit der Dosierung vorsichtiger zu sein. Aber wer weiÃ, vielleicht muss er sie ja gar nicht mehr in die traumlose Welt schicken. Vielleicht verrät sie ihm heute Nacht alles, was er wissen will.
Doch er kommt lange nicht dazu, sich an Emilias Bett zu setzen. Erst muss er die schmutzige Wäsche nach unten in den Keller bringen. Ein Urinbeutel ist geplatzt, und es ist natürlich Julius, der die Sauerei aufwischen muss. Er ärger t sich mehr, als dass er sich ekelt. Der Ekel kommt erst, als Lisa sich neben ihn hockt, ihm helfen will. Immer wieder muss er in ihren Ausschnitt gucken. Er will es vermeiden, aber sein Blick gehorcht ihm nicht. Er findet, dass die Fleischhügel wie ein Po aussehen. Er fühlt sich fast bedroht.
»Ich schaffe das schon allein«, herrscht er sie an.
Als sie aufsteht, sieht er, dass sie dunkle Haare unten an den Beinen hat. Er schaut schnell wieder auf die gelbe Pfütze am Boden.
Als er auf dem Gang der Oberschwester begegnet, verdreht die die Augen. »Setz dich mal ein bisschen neben diese Emilia. Die quatscht wieder wildes Zeug. Beruhig sie ein bisschen. Der Puls wird mir ein bisschen hoch.«
Das macht er nur zu gerne.
Der Schlüssel
W illst du über Lotta reden?«, flüstert er ihr ins Ohr.
Offenbar war sie gerade wieder abgetaucht, doch bei dem Wort »Lotta« zuckt sie. Julius kann sehen, wie schwer es ihr fällt, die Augen auch nur kurz zu öffnen.
Sie nickt.
»Sie ist noch im Keller, oder?«, hilft er ihr.
Sie nickt heftiger. »Du helfen«, bringt sie irgendwann raus.
»Wie kann ich ihr helfen?« Er versucht seine Stimme ganz ruhig klingen zu lassen. Wenn sie sich noch mehr aufregt, ihr Puls noch weiter ansteigt, wird die Oberschwester ihr sofort wieder was spritzen.
»Schlüssel«, würgt Emilia raus. Sie wird noch unruhiger.
Julius überlegt. Er muss dafür sorgen, dass Emilia weniger spricht. Er muss die richtigen Fragen stellen, auf die sie nur nicken muss. »Sei ganz ruhig. Ich werde Lotta mit dem Schlüssel aus dem Keller holen. Du hast den Schlüssel, oder?«
Er hält die Luft an, bis sie langsam wieder nickt.
»Er ist in deiner Hosentasche«, behauptet er einfach.
Emilias Puls geht wirklich ein
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