Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)

Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
Vom Netzwerk:
entschlossen die schmale Treppe hoch. Die Sperrholztür klemmte, sie musste sich mit der Schulter dagegenstemmen, bis sie mit einem jämmerlichen Knarren aufschwang. Stickige warme Luft schlug ihr entgegen. Unter dem kaum isolierten Dach staute sich die Hitze der vergangenen Tage. Durch die winzigen Dachfensterchen fiel nur wenig Licht, aber es war hell genug, um sorgfältig aufgestapelte Umzugskisten, ausrangierte Möbel und allerhand anderen Kram, der sich in vierzig Jahren angesammelt hatte, zu erkennen. Eine dicke Staubschicht bedeckte den knarrenden Dielenboden, Spinnweben hingen von den Deckenbalken herab. Es roch nach Holz, Staub und Mottenpulver.
    Emma blickte sich ratlos um, dann schob sie einen mottenzerfressenen Samtvorhang zur Seite, der an einem der Querbalken befestigt war. Sie zuckte zusammen, als sie sich einer Frau im dämmerigen Halbdunkel gegenüberstehen sah, und es dauerte ein paar Sekunden, bis sie begriff, dass sie ihrem Spiegelbild gegenüberstand. An der Wand lehnte ein großer Spiegel, dessen Glas im Laufe der Zeit wolkig und fast blind geworden war. Auch hinter dem Vorhang standen Kisten und Kartons, alle sorgfältig beschriftet. Winterjacken, Carrera-Rennbahn, Playmobil, Holzspielzeug, Belege, Bücher Florian, Schule Corinna, Babykleidung, Faschingskostüme, Christbaumschmuck, Weihnachtspost 1973 bis 1983.
    Josef und Renate würden erst morgen aus Berlin zurückkehren; sie hatte also Zeit genug, um die zahllosen Kisten und Schränke zu untersuchen. Aber wo sollte sie beginnen?
    Schließlich zog Emma eine Kiste hervor, auf der »Florian Kindergarten, Grundschule, Gymnasium« stand. Sie musste niesen, als sie den Deckel aufklappte. Ihre Schwiegermutter hatte wirklich alles aufgehoben: Schulhefte, Schulbücher, selbstgemalte Bilder, Quittungen für die Schulmilch, Schwimmabzeichen, Urkunden von Bundesjugendspielen, sogar einen Turnbeutel, auf den die Initialen FF im Kreuzstich gestickt waren. Emma blätterte ein Schulheft nach dem anderen durch, betrachtete die ungelenke Schrift, die fast verblichene Tinte. Ob Florian wohl wusste, dass diese Relikte seiner Kindheit noch existierten?
    Sie schloss die Kiste wieder und stellte sie an ihren Platz zurück, schlenderte weiter, betrachtete zerschrammte Möbelstücke, verkratzte Kinderstühlchen, eine altmodische Babywaage, eine herrliche antike Schreibmaschine, die bei eBay sicherlich eine schöne Summe einbringen würde. Immer wieder musste sie niesen, das T-Shirt klebte an ihrem Rücken, und ihre Augen juckten. Emma wollte gerade aufgeben, als ihr Blick eine Kiste streifte, die versteckt unter der Dachschräge hinter dem gemauerten Kamin stand. Den Namen, der in ordentlichen Großbuchstaben auf der Seite stand, hatte sie noch nie gehört, und das weckte ihre Neugier. Sie ging in die Hocke, was in ihrem Zustand nicht ganz einfach war, zerrte den Karton hervor und öffnete ihn. Im Gegensatz zu Florians sorgfältig gepackten Kindheitserinnerungen sah diese Kiste so aus, als habe jemand den Inhalt achtlos hineingestopft. Bücher, Hefte, Bilder, eine Puppe, Stofftiere, Fotos, Dokumente, Kleidungsstücke, ein geblümtes Poesiealbum mit Schloss, ein rotes Käppchen. Emma hob einen Schuhkarton heraus, öffnete ihn und zog ein Schwarzweißfoto mit einem weißen Rand, wie es sie in den Sechzigerjahren gegeben hatte, heraus. Ihr Herz setzte kurz aus und raste dann in einem wilden Stakkato weiter. Das Foto zeigte eine lächelnde Renate mit zwei blonden Kleinkindern auf dem Schoß, im Vordergrund zwei Kuchen mit jeweils zwei Kerzen. Emma drehte das Foto um, ihre Finger zitterten. »Florian und Michaela, 2. Geburtstag. 16. Dezember 1966.«
    *
    Zurück an ihrem Schreibtisch rief Pia in ihrem Computer Google auf und tippte die Begriffe ›Wolfgang Matern + Antenne Pro‹ in die Suchleiste. Sofort bekam sie Hunderte von Treffern. Wolfgang Matern, Jahrgang 1965, war der Sohn von Dr. Hartmut Matern, dem bekannten Medienmogul, der als einer der ersten die Chancen und lukrativen Möglichkeiten des Privatfernsehens in Deutschland erkannt und genutzt hatte, um damit ein Vermögen zu verdienen. Noch heute bekleidete Matern senior trotz seiner achtundsiebzig Lenze das Amt des Vorstandsvorsitzenden einer verschachtelten Holding, zu der verschiedene private Fernseh- und Bezahlsender sowie zahlreiche andere Firmen und Firmenanteile gehörten. Wolfgang hatte BWL und Politikwissenschaften studiert und in Letzterer promoviert. Auf der Webseite der Matern-Gruppe, die ihren Sitz

Weitere Kostenlose Bücher