Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
hat er sich nicht mehr gemeldet. Ich kann ihm doch Louisa nicht jedes zweite Wochenende überlassen, wenn ich befürchten muss, dass er ihr so etwas antut!«
Sie erzählte Corinna und Sarah von Louisas verändertem Verhalten, von den unbeherrschten Wutausbrüchen, von aggressivem Verhalten im Kindergarten, von Phasen erschreckender Lethargie und von dem zerschnittenen Plüschwolf.
»Ich habe mit einer Therapeutin vom Frankfurter Mädchenhaus gesprochen und im Internet recherchiert«, sagte sie mit zitternder Stimme. »Diese Verhaltensauffälligkeiten sind typische Anzeichen, die ein so kleines Kind wie Louisa bei sexuellem Missbrauch zeigt. Es ist eine Persönlichkeitsveränderung, eine Art seelische Schutzreaktion, weil sich das Kind in seiner eigenen Familie nicht mehr sicher fühlt.«
Sie putzte sich die Nase und blickte in die schockierten Gesichter ihrer Freundinnen. »Versteht ihr, warum ich so eine Angst davor habe, Louisa jetzt allein zu lassen? Und ich weiß gar nicht, wie es weitergehen soll, wenn erst das Baby da ist und ich Louisa nicht mehr meine ungeteilte Aufmerksamkeit schenken kann.«
»Was sagt Florian denn dazu?«, wollte Corinna wissen. »Hast du ihm auf den Kopf zugesagt, dass du ihn des Missbrauchs verdächtigst?«
»Nein! Wann hätte ich das tun sollen? Ich habe ihn das letzte Mal gesehen, als er Louisa ins Krankenhaus gebracht hat.«
»Soll ich mal mit ihm sprechen?«, fragte Corinna. »Immerhin ist er mein Bruder.«
»Ja, vielleicht.« Emma zuckte die Schultern. »Ich weiß auch nicht, was man machen kann. Ich weiß gar nichts mehr.«
»Jetzt versuche erst mal, dich zu beruhigen«, riet Sarah und streichelte mitfühlend Emmas Arm. »Kümmere dich um Louisa, ohne dich aufzudrängen. Ein Krankenhausaufenthalt ist eine sehr traumatische Erfahrung für Kinder in ihrem Alter, und auch, wenn du viel bei ihr warst, so war sie plötzlich von lauter Fremden umgeben. Sie wird ein paar Tage brauchen, bis sie sich hier wieder eingelebt hat. Alles wird wieder gut.«
»Ich gehe jetzt mal zu ihr.« Emma seufzte und erhob sich. »Danke für eure Geschenke. Und danke fürs Zuhören.« Sie umarmte erst Sarah, dann Corinna und begleitete sie zur Wohnungstür. Als die beiden gegangen waren, atmete Emma tief durch, bevor sie ins Kinderzimmer ging.
Louisa saß auf dem Boden in einer Ecke und blickte nicht auf, als Emma hereinkam. Sie hatte eine Märchen- CD in ihren CD -Player gelegt, und hörte ihr Lieblingsmärchen vom Aschenputtel. Still, fast apathisch, saß das Mädchen da, den Daumen im Mund.
»Magst du einen Keks essen? Oder einen Apfel?«, fragte Emma sanft und setzte sich ihr gegenüber auf den Teppich.
Louisa schüttelte stumm den Kopf, ohne sie anzusehen.
»Sollen wir mal Oma und Opa anrufen, damit sie dir hallo sagen?«
Kopfschütteln.
»Wollen wir ein bisschen schmusen?«
Erneutes Kopfschütteln.
Emma blickte ihre kleine Tochter ratlos und bekümmert an. Sie hätte ihr so gerne geholfen, ihr versichert, dass sie bei ihr in Sicherheit war und nichts zu befürchten hatte, aber Sarah hatte vielleicht recht damit, dass sie sie nicht bedrängen sollte.
»Darf ich hierbleiben und mit dir Aschenputtel hören?«
Schulterzucken. Louisas Blick irrte durch das Zimmer.
Eine Weile saßen sie schweigend da und hörten der Erzählstimme zu.
Plötzlich nahm Louisa den Daumen aus dem Mund.
»Ich will, dass mein Papa kommt und mich abholt«, sagte sie.
*
Das ganze Team des K11 saß gespannt vor dem Fernseher im Büro von Dr. Nicola Engel. Obwohl es für jeden von ihnen ein langer Tag gewesen war, waren alle hellwach und gespannt auf Bodensteins Auftritt bei Aktenzeichen XY . Im Schnitt verfolgten sieben Millionen Zuschauer die Sendung, in der Ferienzeit mochten es zwar ein paar weniger sein, aber es war die Gelegenheit, eine breite Öffentlichkeit zu erreichen.
Da es zu wenige Informationen über das Mädchen aus dem Fluss gab, hätte es keinen Sinn gehabt, einen Einspieler zu drehen, doch dafür war der Fall Hanna Herzmann filmisch aufbereitet worden. Bodenstein war gleich als Erster an der Reihe, und man hätte im Büro der Kriminalrätin eine Stecknadel fallen hören können, als er ins Bild kam. Pia konnte sich nicht richtig auf den Auftritt ihres Chefs konzentrieren, der mit seiner eloquenten Sachlichkeit dem Moderator in nichts nachstand, ganz im Gegensatz zu den meisten anderen Kollegen, die vor Nervosität oft hölzern und unbeholfen wirkten. Seit dem Gespräch mit Lutz Altmüller
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