Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
eingeladen. Meike betrachtete das große alte Haus, das sie so sehr liebte. Die hohen Sprossenfenster, die dunkelgrünen Schlagläden, das Krüppelwalmdach, gedeckt mit rötlichen Biberschwänzen, die Freitreppe, deren acht Stufen zu der dunkelgrünen doppelflügeligen Haustür führten, an der ein Löwenkopf aus Messing als Türklopfer angebracht war. Die Lavendelbüsche vor dem Haus strömten an diesem warmen Sommerabend einen intensiven Duft aus und erinnerten Meike an Urlaube in Südfrankreich. Hanna war es, die Wolfgangs Mutter vor vielen Jahren den Lavendel aus der Provence mitgebracht hatte.
Früher war sie oft mit Hanna hier gewesen, und in ihrer Erinnerung erschien ihr das Haus wie der Inbegriff von Geborgenheit und Sicherheit. Aber jetzt war Tante Christine tot und Hanna lag im Krankenhaus, auch mehr tot als lebendig. Und sie hatte niemanden, der auf sie wartete, zu dem sie hingehen und sich geborgen und beschützt fühlen konnte. Es war nicht zu bestreiten, dass sich Wolfgang im Laufe der Jahre zu ihrer wichtigsten Bezugsperson, einer Art Vaterersatz, entwickelt hatte, dem sie tiefes Vertrauen entgegenbrachte. Ihre Stiefväter waren gekommen und gegangen und hatten sie nur als lästiges, aber unvermeidbares Anhängsel von Hanna wahrgenommen, und ihr eigener Vater hatte eine eifersüchtige Megäre geheiratet.
Meike warf noch einen letzten Blick auf das Haus, dann wandte sie sich um und wollte gehen. In diesem Moment rauschte ein dunkler Maybach in den Hof. Er stoppte vor der Freitreppe. Ein schlanker weißhaariger Mann stieg aus, sein Blick begegnete ihrem. Sie lächelte und winkte und registrierte erstaunt den Ausdruck des Unbehagens, der bei ihrem Anblick über das sonnengebräunte Gesicht von Peter Weißbecker flog. Peter war ein alter Bekannter von Hanna, fast so etwas wie ein Freund, als Schauspieler und Showmaster war er eine Legende des deutschen Fernsehens. Meike kannte ihn, seitdem sie denken konnte. Sie fand es zwar etwas albern, ihn mit dreiundzwanzig Onkel Pitti zu nennen, aber so hatte sie ihn immer genannt.
»Die kleine Meike! Das ist aber schön, dich zu sehen«, sagte er mit aufgesetzter Begeisterung, »sag bloß, deine Mama ist auch da?«
Er umarmte sie hölzern.
»Nein, Mama ist im Krankenhaus«, erwiderte sie und hakte sich bei ihm unter.
»Ach je, das tut mir ja leid. Ist es etwas Ernstes?«
Sie ging mit ihm die Treppe hoch. Die Haustür schwang auf, Wolfgangs Vater erschien im Türrahmen. Auch ihm entgleisten bei ihrem Anblick die Gesichtszüge, er war nicht davon angetan, sie zu sehen. Allerdings konnte er sein Missvergnügen bei weitem nicht so gekonnt überspielen wie Onkel Pitti, der Bühnenprofi.
»Was machst du denn hier?«, raunzte Hartmut Matern Meike an.
Eine Ohrfeige hätte nicht mehr schmerzen können als diese unfreundliche Begrüßung.
»Hallo, Onkel Hartmut! Ich war gerade zufällig in der Gegend«, log Meike. »Ich wollte nur mal kurz hallo sagen.«
»Das passt heute Abend nicht«, erwiderte Hartmut Matern. »Ich habe Gäste, wie du siehst.«
Meike starrte ihn entgeistert an. So grob hatte er noch nie mit ihr gesprochen. Hinter ihm erschien Wolfgang. Er wirkte nervös und angespannt. Sein Vater und Onkel Pitti verschwanden im Haus, ließen sie einfach stehen wie eine Fremde, ohne sich von ihr zu verabschieden oder wenigstens der Höflichkeit halber einen Gruß an Hanna auszurichten. Meike war tief gekränkt.
»Was ist denn hier los?«, fragte sie. »Herrenabend, was? Oder war Mama auch eingeladen?«
Wolfgang ergriff sie am Arm und drängte sie nach draußen.
»Meike, bitte. Heute passt es wirklich schlecht.« Er sprach leise und schnell, so, als ob er wollte, dass ihn niemand hörte. »Das ist … eine Art … eine Art Aktionärsversammlung. Es geht ums Geschäft.«
Das war schlicht gelogen, und diese offensichtliche Lüge verletzte sie noch mehr als das demütigende Gefühl, mehr oder weniger rausgeschmissen worden zu sein.
»Wieso gehst du nicht ans Telefon, wenn ich anrufe?« Meike hasste den Tonfall ihrer Stimme. Sie wollte cool sein, aber sie klang wie eine hysterische, gekränkte Zicke.
»Ich hatte in der letzten Woche wahnsinnig viel zu tun. Bitte, Meike, jetzt mach hier keinen Aufstand«, beschwor er sie.
»Ich mache ganz sicher keinen Aufstand «, schnaubte sie wütend. »Ich habe nur gedacht, du meinst, was du sagst, und ich könnte jederzeit zu dir kommen.«
Wolfgang druckste verlegen herum, stammelte irgendetwas von Krisensitzung und
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