Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
Hartmut in den Fall verstrickt ist. Ich wusste natürlich, dass ihm der Sender gehört, und habe seinen Namen bewusst nicht auf die Liste gesetzt, um Hanna nicht in einen Loyalitätskonflikt zu stürzen. Außerdem war ich mir anfangs nicht sicher, ob ihr wirklich zu trauen ist. Dass sie mit Wolfgang Matern befreundet ist und ihn so detailliert informieren würde, habe ich damals leider nicht gewusst.«
»Sie meinen, Wolfgang Matern hat Hanna Herzmann überfallen?«, unterbrach Pia ihn.
»Nein, sicher nicht er selbst. Ich glaube, dass es Helmut Grasser war, der ihr das angetan hat. Und der Leonie getötet hat. Eine Frau kann man schließlich nicht mit kompromittierenden Fotos oder Filmen einschüchtern. Mit Frauen verfahren diese Verbrecher anders als mit Männern.«
Pia erinnerte sich an das Auto mit dem HG -Kennzeichen, das der Nachbar von Leonie Verges mehrfach in der Nähe ihres Hauses beobachtet hatte. Es war auf den Sonnenkinder- Verein zugelassen.
»Diese Sonnenkinder«, sagte Bodenstein gerade, »tun die denn wirklich etwas für Mütter und Kinder, oder ist das eine reine Tarnorganisation?«
»Oh nein, sie tun eine ganze Menge«, antwortete Kilian Rothemund. »Es ist tatsächlich eine großartige Sache. Sie fördern die Ausbildung junger Mütter, es gibt Stipendien für Kinder und Jugendliche. Aber es gibt eben auch Kinder, die es offiziell nicht gibt. Junge Mütter verschwinden sofort nach der Entbindung und lassen ihre Kinder zurück, weil sie denken, sie sind dort gut aufgehoben. Finkbeiner holt auch gerne Waisenkinder aus Fernost oder Osteuropa. Die werden hier nie gemeldet, sie existieren einfach gar nicht und niemand vermisst sie. Sie sind das Futter für die Kinderschänder. Michaela wusste das alles, sie nannte diese Kinder die ›unsichtbaren Kinder‹. Was ihnen angetan wird, ist einfach unfassbar. Werden sie zu alt und damit unattraktiv für die Pädophilen, dann werden sie an Zuhälter weitergegeben oder einfach entsorgt.«
Pia fielen die beiden Phantombilder ein, die mit Hilfe der Zeugin aus Höchst entstanden waren. Sie entschuldigte sich, ging in ihr Büro und kehrte kurz darauf mit den Ausdrucken zurück.
»Kennen Sie diese beiden Leute?«, fragte sie Kilian Rothemund.
Ein flüchtiger Blick reichte ihm.
»Der Mann ist Helmut Grasser«, sagte er. »Und die Frau ist Corinna Wiesner, auch ein Adoptivkind der Finkbeiners, genauso wie ihr Mann Ralf Wiesner, der Geschäftsführer der Finkbeiner Holding. Corinna und er sind die wohl hörigsten Soldaten in Finkbeiners schwarzer Armee. Offiziell ist sie Verwaltungschefin der Sonnenkinder , aber in Wirklichkeit ist sie die Leiterin der ›Geheimpolizei‹ des Rings. Sie weiß über alles Bescheid, ist eiskalt und absolut gnadenlos.«
*
Helmut Grasser redete eine Viertelstunde lang wie ein Wasserfall. Dankbar, endlich ein aufmerksames Publikum gefunden zu haben, erzählte er von einer traurigen lieblosen Kindheit in verschiedenen Pflegefamilien und Kinderheimen, einer psychisch kranken Mutter, die ihn, das unerwünschte Produkt einer Vergewaltigung, abgelehnt hatte und gerade mal sechzehn war, als er geboren wurde. Das Jugendamt hatte ihn schließlich zu den Finkbeiners vermittelt, und dort hatte er zum ersten Mal in seinem Leben so etwas wie Zuneigung und Fürsorge erfahren, dennoch war er immer ein Kind zweiter Klasse geblieben. Dadurch, dass er eine Mutter hatte, hatten die Finkbeiners ihn nicht adoptiert oder als Pflegekind aufgenommen; er war in der Heimeinrichtung des Vereins Sonnenkinder e. V. aufgewachsen und hatte alles getan, um Anerkennung von jenen zu bekommen, zu denen er so gerne gehören wollte. Aber die Finkbeiner-Kinder, die jünger waren als er, hatten auf ihn herabgesehen, seine Bemühungen um ihre Gunst schamlos ausgenutzt und ihn verspottet. Grasser war nicht verheiratet und lebte mit seiner Mutter in einem der Häuser auf dem Finkbeiner’schen Grundstück in Falkenstein, in direkter Nachbarschaft zu den Leuten, die er seit dreißig Jahren anbetete und die seine Ergebenheit genau wie früher für ihre eigenen Pläne instrumentalisierten.
»Okay«, unterbrach Bodenstein ihn schließlich. »Was war mit Hanna Herzmann und mit Leonie Verges?«
»Die Herzmann sollte ich ein bisschen einschüchtern, damit sie aufhört, herumzuschnüffeln«, gab Grasser zu. »Die Sache ist etwas aus dem Ruder gelaufen.«
»Etwas aus dem Ruder gelaufen?« Bodenstein hob die Stimme. »Sie haben die Frau bestialisch gefoltert und beinahe
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